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Schwarz-rot-goldner Fußballwahn

Samstag, Juni 14th, 2008

Den Umstand, dass zur Zeit ein großes Fußballturnier stattfindet erkennt man nicht zuletzt an der springflutartigen Zunahme von Nationalfahnen im öffentlichen Raum. An jedem Auto muss ein Wimpel befestigt sein, aus jedem Fenster eine Fahne wehen. Aus einem instinktiven Widerwillen gegen jeden mutwilligen Gebrauch staatlicher Symbole heraus störe ich mich besonders an der Verwendung der Dienstflagge (mit Bundesadler) anstelle der reinen deutschen Farben, die immerhin die Farben des (missglückten) ersten Demokratieversuchs der Deutschen waren. Nun haben die Kroaten vorgestern der schwarz-rot-goldnen (Selbst-)Herrlichkeit einen empfindlichen Dämpfer verpasst, der vielleicht wieder ein wenig Ruhe einkehren lässt. Fast hatte man gestern den Eindruck die deutschen Spieler seien dem alten Irrtum verfallen, ein Sieg über Polen sei eine Garantie für Siege gegen jedermann.

Unabhängig davon, ob man Fußball für einen interessanten Sport hält oder nicht, wirft das aktuelle Aufwallen von Nationalstolz (oder auch Patriotismus) zwei Fragen auf. Warum sollte man als deutscher für die deutsche Nationalmannschaft sein? Und warum ist alle Welt plötzlich so wild darauf (National-)Farbe zu bekennen.

Die zweite Frage ist vordergründig schnell beantwortet. Das Tragen der Mannschaftsfarben, die in diesem Fall die Landesfarben sind, ist ein Bekenntnis zur „eigenen“ Mannschaft, die Dokumentation der eigenen Anhängerschaft und, wie alle Uniformen und Abzeichen, ein Mittel der Gruppenidentifikation. So erhält jeder über die schlichte Maßnahme, Anteil am Schicksal der deutschen Mannschaft zu nehmen und sich in die deutschen Farben zu gewanden, die Möglichkeit, sich als Teil einer großen Gemeinschaft zu fühlen, sich zu verlieren in einer allumfassenden Begeisterung. Und so erfahren schlichte Gemüter alle zwei Jahre ihr kleines 1914-Erlebnis. (Nur am Rande sei hier die Frage aufgeworfen, wie viele Fußballfans sich egentlich darüber bewusst sind, dass sie mit ihrem Verhalten Schande über die eigenen Farben bringen.)

Bleibt aber noch die Frage zu beantworten, warum der Zufall der Geburt quasi automatisch dazu führen sollte, dass man der deutschen Mannschaft anhängt. Natürlich ist grundsätzlich jedermann frei, seine Sympathie nach eigenem Gutdünken zu vergeben, doch wird zum Beispiel die Bemerkung, man könnte sich bei einem direkten Aufeinandertreffen nicht entscheiden, ob man der deutschen oder der portugiesischen Mannschaft den Sieg wünschen solle, für erhebliche Irritationen sorgen (es sei denn man ist Portugiese). Warum aber nicht „Fan“ (wenn man so weit gehen möchte) von Portugal sein, die sowieso den schöneren Fußball spielen? Oder der Iren, deren Kampfgeist den jeder anderen europäischen Mannschaft bei weitem übertrifft? Man kann sich auch zum Fan der Italiener oder Franzosen oder Griechen erklären.

All das ist nach wohl herrschender Meinung einem Deutschen verwehrt, weil er als Deutscher die deutsche Mannschaft zu unterstützen hat. Es handelt sich hierbei quasi um eine nationale Pflicht. Aber was ist, neben dem platten Grund der gleichen Staatsbürgerschaft, wirklich der Grund? Man könnte nun anführen, dass ich im gleichen Land geboren bin wie die deutschen Spieler. Aber abgesehen davon, dass ich diesen Umstand mit vielen Fans teile, die Stolz die türkische Fahne schwenken stimmt es nicht einmal. Das nächste Bindeglied ist natürlich die Sprache. Als treuer Fan aller Deutschsprachigen muss ich mich allerdings zu gleichen Teilen in schwarz-rot-gold und in rot-weiss-rot gewanden und mir das Schweizerkreuz ins Gesicht malen. Das ist also auch keine Lösung. Was begründet also die zur Solidarität nötigende Beziehung zwischen allen Deutschen (im Moment reden wir über Fußball, im Krieg wird es noch schlimmer)? National gesinnte Kreise mögen nun das gemeinsame kulturelle Erbe aller Deutschen anführen. Ich vermute hierbei wird auf die großen deutschen Geister, die das kulturelle Erscheinungsbild Europas prägenden Männer der deutschen Nation angespielt, wie zum Beispiel Mozart (ups, der war ja österreicher), Frisch (ach nee, Schweizer), Kant (stammt aus dem heutigen Russland… sehr schwierig) et al. Ganz abgesehen davon, dass man wohl eher von einem europäischen kulturellen Erbe wird sprechen müssen weise ich darauf hin, dass die meisten deutschen Bildungsbürger (besonders die Kosmopoliten) mehr mit französischen und englischen Bürgern gemeinsam haben, als mit dem deutschen Proletariat (oder heisst das heute Prekariat?).

Wir kommen also zu dem Ergebnis, dass die Anhängerschaft zur deutschen Fußballnationalmannschaft durch nichts weiter begründet wird, als ein diffuses Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit, für das es faktisch keinen Grund gibt, Oder aber durch den verzweifelten Wunsch endlich irgendwo dazuzugehören. Solange sich dieser wiederentdeckte nationale überschwang auf das gemeinsame Erlebnis des sportlichen Sieges oder der sportlichen Niederlage beschränkt, soll es mir recht sein. Allzu schnell jedoch schlägt die Begeisterung um in Feindschaft gegenüber allen anderen (insbesondere nach einer Niederlage) und in das Gefühl benachteiligt worden zu sein. Allzu gerne wird dann die Niederlage nicht der mangelnden eigenen Leistung zugeschrieben, sondern einem parteiischen Schiedsrichter, der die weit überlegene deutsche Mannschaft durch gezielte Benachteiligung um ihren Sieg gebracht habe. Dass der kleine Bruder der Dolchstoßlegende genauso hässlich ist wie diese selbst, bedarf wohl keiner Erläuterung. Dieser Mechanismus, nein diese unausweichliche Folge nationaler Massenbewegung ist der Grund warum jeder Ausdruck schwarz-rot-goldnen (weiss-rot-blauen, halbmond-roten etc) Überschwangs mit Skepsis zu betrachten ist. Ganz besonders dann, wenn man sich die Frage stellt, wie vielen dieser Fahnenschwenker es wohl egal ist, ob ihre Fahne schwarz, rot, gold ist oder , schwarz, weiss, rot.

Pressefreiheit und moderne Medien

Donnerstag, Juni 12th, 2008

Mit der Presse ist man ja so einigen Kummer gewöhnt und dass das Boulevard Pressefreiheit vornehmlich als „Freiheit von der Wahrheit“ versteht ist auch alles andere als ungewöhnlich. Aus totalitären Regimen ist ja bekannt, dass die Presse nur bestimmten Interessen dient und den Beitrag der deutschen Presse zum Untergang der Weimarer Republik (ein Erbe das von heutigen Journalisten meines Erachtens ignoriert wird) will ich hier gar nicht diskutieren. Bedenklich finde ich für heute das Verhältnis, das der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Informationsauftrag entgegenbringt. Dieser Informationsauftrag hat immerhin ein solches Gewicht, dass mittlerweile schon internetfähige Computer rundfunkgebührenpflichtig sind. Doch was sind vom Gebührenzahler finanzierte Informationen wert, die schlicht falsch sind?

Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Amoklauf von Emsdetten wurde in den öffentlich-rechtlichen Sendern ausführlich auch über so genannte „Killerspiele“ berichtet. Ein Unbekannter hat sich nun die Mühe gemacht, vier Sendungen auf den Wahrheitsgehalt ihrer Behauptungen hin zu untersuchen und darin Fehler gefunden, die sich schon nicht mehr mit Nachlässigkeit begründen lassen. Das Video findet sich hier.

Natürlich kann man den Medien zu gute halten, dass sich unter den Journalisten zumindest des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wenige Experten für Computerspiele befinden. Dennoch ist es nicht zu rechtfertigen, dass in einem Beitrag behauptet wird, Counterstrike verfüge über einen Deathmatch-Modus. Schlimmer noch ist die Darstellung von Szenen aus einem Spiel, das offensichtlich im zweiten Weltkrieg spielt mit der Behauptung, es handle sich um World of Warcraft. Dieser Fehler wäre durch einen Rundgang in einer Computerspielabteilung jedes größeren Kaufhauses zu vermeiden gewesen. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht mehr wunder, dass die Autoren der Beiträge nicht in der Lage sind, korrekt psychologische Studien zu zitieren. Man erhält den Eindruck, dass die Beiträge weniger der Erforschung eines Sachverhalts dienten, sondern der möglichst dramatischen Wiedergabe von Vorurteilen. In diesem Moment jedoch überschreiten die beteiligten Journalisten die Grenze zwischen Journalismus und Propaganda.

Warum aber geben sich die gebührenfinanzierten Sender dafür her? Warum verraten sie den ihnen durch die Rundfunkstaatsverträge zugewiesenen Aufgaben. Warum tragen Sie nur zu einer Aufheizung der allgemeinen Stimmung, zur Erhärtung eines Feindbildes bei, statt sich kritisch mit dem Aufschrei der Politikerklasse auseinanderzusetzen. Im Gegenteil, die Medien stimmen ein in den Chor der selbsternannten Experten und Berufsaufgeregten und versuchen möglichst alle noch zu übertönen. Vielleicht ist das der Hintergrund für derartige Fehlinformationen, vielleicht leiden die Medien an einem übergroßen sozusagen gesellschaftlichen Harmoniebedürfnis, das sie geradezu zwingt, die gleichen Noten zu singen wie alle anderen. Vielleicht ist es aber auch ein falsches Verständnis von wirtschaftlichem Handeln, von einer Marktorientierung der Medien. Statt die Informationen zu liefern, die die Zuschauer brauchen, werden die (Fehl-)Informationen geliefert, die die Zuschauer angeblich wollen. So bestätigt man zwar vorhandene Vorurteile, aber dafür beunruhigt man den Zuschauer nicht durch Infragestellung seines Weltbildes und bewahrt ihn sich für die Zukunft. Solange der Zuschauer die erhaltenen Informationen nicht hinterfragt und den Schritt macht von reinen Konsumenten zum kritischen Teilnehmer an der Medienwelt, wird es ihm gehen wie dem Wahlvolk – er bekommt nicht die Medien, die er braucht, sondern die, die er verdient.

Bücher: 1967. Israel, the war, and the year that transformed the middle east

Samstag, Juni 7th, 2008

Nach „Es war einmal ein Palästina“ liegt nun mit „1967“ eine weitere Studie zur israelischen Geschichte von Tom Segev auf Deutsch vor. Wie der Titel bereits ankündigt ist „1967“ nicht allein die Geschichte des 6-Tage-Krieges – die Darstellung des Krieges selbst nimmt nur ein Drittel des Buches ein – sondern die Darstellung der drei vielleicht bedeutsamsten Jahre der israelischen Geschichte.

Anhand von Briefen, die Israelis ins Ausland schickten, und privaten Aufzeichnungen sowohl einfacher Bürger als auch aus der politischen Elite, zeichnet Segev das Bild einer Gesellschaft, die eine Erfolgsgeschichte ein könnte, jedoch von inneren und äußeren Krisen schwer gebeutelt wird. Es ist nicht allein der andauernde palästinensische Terror, der Israel zusetzt. Erschwerend kommt hinzu die wirtschaftliche Stagnation und die Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft. Dankenswerter Weise scheut sich Segev nicht, nicht nur die alltägliche Diskriminierung der israelischen Araber darzustellen, sondern geht auch auf die Ungleichbehandlung der orientalischen Juden (Mizrahim oder Sepharden) durch die aus Europa stammenden Juden (Ashkenazen) ein. Er rührt damit an eine Wunde, die bis heute nicht verschlossen ist.

Vor diesem Hintergrund entwickelt Segev das Panorama der israelischen Politik, die schlussendlich zum Krieg mit Ägypten, Syrien und Jordanien führen sollte. Einem Krieg, den Israel zwar immer als Präventivkrieg dargestellt hat, der seine Wurzeln jedoch in der fortwährenden gegenseitigen Provokation aller Beteiligten hat. Wohl zu recht weisst Segev darauf hin, dass der 6-Tage-Krieg alles andere als unvermeidbar war. Insoweit mag man sogar Parallelen zur Entstehung des Ersten Weltkrieges erblicken, der letzten Endes der aufgeheizten Stimmung in Europa und der Unfähigkeit und dem Unwillen der politischen Eliten geschuldet war, den Krieg aufzuhalten.

Im Rahmen der Schilderung des Krieges selbst geht Segev intensiv auf die widerstreitenden Vorstellung innerhalb der politischen Klassen ein. Überraschend für manchen Leser mag sein, dass David Ben Gurion ein entschiedener Gegner des Krieges war und Moshe Dayan zumindest der Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlandes kritisch gegenüberstand. Letzten Endes wurden jedoch Ost-Jerusalem, der Gazastreifen und das Westjordanland dennoch erobert. Gerade die Eroberung der letzten beiden Gebiete erfolgte jedoch nicht mit einer langfristigen Perspektive sondern nur mit dem Ziel, sich Verhandlungsmasse für die anschließenden Friedensgespräche zu verschaffen. Erst im überschwang des Sieges fiel die Entscheidung, die besetzten Gebiete nicht zu räumen.

Das Jahr nach Ende des Krieges entwickelt Segev als die Geschichte einer großen verpassten Chance, der verpassten Chance auf Frieden mit den Nachbarn. Auch wenn das Verhalten der israelischen Politiker die Haltung der arabischen Führer sicher nicht positiv beeinflusst hat, muss man dennoch in Frage stellen, ob nach dem 6-Tage-Krieg wirklich ein auch für Israel akzeptabler Frieden möglich gewesen wäre. Meines Erachtens ist es mehr als zweifelhaft, dass sich die arabische Welt auf eine Lösung eingelassen hätte, die das überleben Israels als jüdischer Staat ermöglicht hätte.

„1967“ ist eine ausgewogene und umfassende Darstellung der israelischen Außenpolitik und des Besatzungsregimes. Segev schreckt weder davor zurück, Missstände wie die Diskriminierungen innerhalb der israelische Gesellschaft oder die Übergriffe auf Palästinenser nach dem Krieg beim Namen zu nennen, noch verschweigt er die innerisraelische Kritik, die sich dagegen richtete. Ein Manko des Buches ist sicherlich, dass der einzige weitere Staat, dessen Politik aus der Innenansicht geschildert wird, die USA sind. Es wäre sicherlich interessant, der israelischen Führung die Pläne und Ideen der Politiker aus Kairo, Amman und Damaskus gegenüber zu stellen. Andererseits steht es zu bezweifeln, dass auch nur einer dieser Staaten einem Israeli Zugang zu seinen Archiven gewähren würde.

Alles in allem lohnt sich die Lektüre für jeden, der einen tieferen Einblick in die israelische Geschichte und den Nahost-Konflikt gewinnen möchte. Im Gegensatz zu vielen deutschen Geschichtsdarstellungen ist „1967“ flüssig und spannend geschrieben und profitiert von der umfangreichen Zitation aus Briefen und persönlichen Aufzeichnungen. Ein rundum empfehlenswertes Buch also.

Tom Segev; 1967. Israel, the war, and the year that transformed the middle east; New York; 2005; dt.: 1967 – Israels zweite Geburt; München 2007

Original oder nicht?

Dienstag, Mai 20th, 2008

Manchmal passiert es, dass man auf Umwegen Einblicke in die Mechanismen erhält, mit denen man nicht gerechnet hätte. In meinem Fall war es die Feststellung des geringen Stellenwertes, den das deutsche Verlagswesen im allgemeinen seinen Übersetzern einräumt.

Ich habe “1967″ von Tom Segev im Buchhandel gesehen und nachdem ich schon “Es war einmal ein Palästina” verpasst hatte wollte ich diesmal direkt zugreifen. Da ich es mir abgewöhnt habe, deutsche Übersetzungen englischer Originale zu lesen, bat ich die Buchhändlerin, herauszufinden, ob das Original auf englisch oder hebräisch veröffentlicht worden sei. Ein Blick ins Buch förderte zutage, dass tatsächlich das Original unter dem Titel “1967. Israel, the war, and the year that transformed the Middle East” erschienen ist. Ich bestelle also brav die englische Version, zahle für meine fremdsprachlichen Ambitionen immerhin zehn Euro mehr und trage schließlich stolz meine Neuerwerbung nach Hause. Und was lese ich, als ich daheim das Buch aufschlage auf dem Titelblatt? “Translated by Jessica Cohen”! Ein kurzer Blick in die bibliographischen Informationen fördert zutage, dass das Buch bereits 2005 in Israel unter dem Titel “1967: Vehaaretz shinta et paneiha” erschienen ist. Dabei drängen sich mir spontan zwei Fragen auf: Warum hängt der deutsche Büchermarkt drei Jahre hinterher? Und noch viel wichtiger: Warum verkauft ein Verlag die deutsche Übersetzung einer englischen Übersetzung eines hebräischen Originals, statt das Original direkt ins Deutsche übersetzen zu lassen? Leben wir denn noch im Mittelalter?

Meine Antwort auf die zweite Frage war schnell gefunden: Übersetzer aus dem Englischen sind schlicht billiger (weil zahlreicher), als Übersetzer aus dem Hebräischen. Und da der deutsche Konsument schlechte Übersetzungen gewohnt ist, ging man wohl davon aus, dass es den Lesern völlig gleich ist, ob sie die Übersetzung eines Originals, oder die Übersetzung einer Übersetzung bekommen. Nun weiss jeder, der sich ein wenig mit Sprach- und Literaturwissenschaft beschäftigt hat (oder sich auch nur mit jemandem unterhalten hat, der sich damit befasst), dass eine Übersetzung immer nur die zweitbeste Lösung ist. Die Übersetzung einer Übersetzung dagegen ist nicht etwa die drittbeste Lösung, sondern eine Unverschämtheit gegenüber den Kunden. Das liegt nicht etwa an der Qualität der Übersetzung – die oft schlecht genug ist – sondern ist schlicht dadurch bedingt, dass jede Übersetzung auch ein Teil Interpretation enthält, so dass die Übersetzung einer Übersetzung gleichzeitig auch die Interpretation einer Interpretation ist. Vom Original bleibt da unter Umständen nur noch wenig erhalten.

Warum wählt nun ein Verlag dennoch dieses Vorgehen? Wie gesagt, es ist billiger. Ein Blick in die deutsche Bücherlandschaft und die Arbeitswelt der Übersetzer zeigt, dass Übersetzer von Ihren Auftraggebern, insbesondere den Verlagen vornehmlich als Kostenfaktor betrachtet werden und nicht als Qualitätsgaranten. So sind sie gezwungen, zu teilweise erbärmlich niedrigen Löhnen in möglichst kurzer Zeit, Übersetzungen abzuliefern. Dass unter diesem Kostendruck die Qualität leidet, versteht sich von selbst. Die besondere Leistung eines Übersetzers, die Eigentümlichkeiten einer fremden Sprache, ihren Witz und ihre ganz speziellen Ausdrucksformen in eine andere Sprache zu übertragen, findet keine Anerkennung. Eindrucksvoll illustriert wird dieser Befund, wenn man die Darstellung des Übersetzers in englischsprachigen Büchern mit der in deutschen Büchern vergleicht. In „1967“ zum Beispiel findet sich der Name der Übersetzerin auf dem Titelblatt, nur geringfügig kleiner gedruckt als der Untertitel. In deutschen Büchern neueren Erscheinungsdatums findet sich der Name des Übersetzers zwar ebenfalls auf dem Titelblatt, doch ist er teilweise kleiner gedruckt, als der Buchinhalt selbst. In älteren Büchern taucht er sogar nur im Rahmen der allgemeinen bibliographischen Informationen auf.

Bedenkt man die Dominanz englischsprachiger Autoren auf dem deutschen Büchermarkt, so nimmt diese Geringschätzung der Übersetzer doch Wunder. Fast scheint es, als hätten die deutschen Verlage nicht begriffen, dass es die Übersetzer sind, die ihnen das Geschäft mit ausländischen Titeln erst ermöglichen. Mit deutschen Autoren allein wäre das überleben der Verlage nicht zu sichern. Aber es gibt Anlass zur Hoffnung. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass die englischen Abteilungen in den Buchhandlungen stetig wachsen. Vielleicht erhalten die Übersetzer ja die Anerkennung, die ihnen zusteht, wenn die Leser in Deutschland mehrheitlich dazu übergehen lieber das englische (oder auch französische oder spanische) Original an Stelle einer schlechten oder auch mittelmäßigen Übersetzung zu lesen. Dann wird eine gute Übersetzung am Büchermarkt einen nicht zu unterschätzenden Wert darstellen und auch die deutschen Verlage werden gezwungen sein, sich ein wenig mehr um ihre Übersetzer zu kümmern.

Olympia und Politik

Donnerstag, Mai 1st, 2008

Nach all der Aufregung um die Verbindung aus der Unterdrückung der Tibeter durch China mit der Ausrichtung der olympischen Spiele durch eben dieses China kochen mittlerweile die Emotionen hoch. So hoch, dass der traditionelle Fackellauf nur noch unter Polizeischutz stattfinden kann. Neben diesen mehr oder weniger verständlichen Protestaktionen, die in Wahrheit nichts weiter sind, als hilflose Gesten, steht immer noch die Frage nach einem Boykott der Spiele im Raum. Natürlich muss die Frage gestellt werden, ob ein Boykott wirklich etwas nutzen, oder nur die Situation der Tibeter verschlechtern würde. Natürlich muss die Frage gestellt werden, ob es richtig ist, einen politischen Konflikt auf dem Rücken der Sportler auszutragen. Natürlich muss auch die Frage gestellt werden, ob es richtig sein kann, dass eine Fehlentscheidung (sport-)politischer Funktionäre nun von den Sportlern notdürftig korrigiert werden soll. Was jedoch von den Gegnern eines Boykotts nur unter der Gefahr eingewandt werden kann, sich als politisch ignorant zu beweisen, ist, dass die olympischen Spiele als sportliches Fest der Weltjugend freigehalten werden müssen von tagespolitischen Einflüssen. Nicht nur, dass die olympische Idee an sich, das Treffen von Sportlern aller Herren Länder unter dem Schutz des olympischen Friedens, eine zutiefst politische Idee ist, waren die modernen Spiele, wie jede große Sportveranstaltung, immer auch eine Möglichkeit der nationalen Selbstdarstellung (warum wohl stört sich China so an der Aufregung?!) und mir fallen spontan fünf Gelegenheiten ein, zu denen die Spiele als Forum politischer Botschaften gebraucht wurden: die Spiele von Berlin (1936), München (1972), Moskau (1980), und Los Angeles (1984).

Als die Sommerspiele für das Jahr 1936 1931 an Berlin vergeben wurden hat wohl niemand damit gerechnet, dass aus dem hoffnungsvollen demokratischen Experiment in Deutschland bis dahin die nach Italien zweite faschistische Diktatur in Europa werden würde. Die Situation im Deutschen Reich, die Ausschaltung jeder Opposition, die Unterdrückung Andersdenkender, die zunehmende Diskriminierung der Juden, überhaupt die rassistische Ideologie der politischen Führung (schweigen wir vom Rest des Volkes) führten dementsprechend auch zu Boykottbestrebungen in Frankreich und USA. Sogar eine Verlegung der Spiele wurde in Erwägung gezogen. Nach der Verpflichtung der Reichsregierung, die olympische Charta zu respektieren, entschied sich der Sportverband der USA für die Teilnahme an den Spielen. Der Selbstdarstellung des Dritten Reiches stand nichts im Wege und sie begann bereits mit dem Fackellauf (der zum ersten Mal stattfand) mit – wie könnte es in Anbetracht des beschränkten ästhetischen Potentials in der NSDAP anders sein – mit einem Massenaufmarsch von SA und HJ. Das Regime unternahm auch weiterhin alles, um Deutschland als weltoffenes, soziales Land darzustellen. Die Spiele wurden von einem großzügigen kulturellen Rahmenprogramm begleitet und die Zeitungen streng darauf kontrolliert nur keine antisemitische Propaganda zu verbreiten. Im Rückblick können die Bemühungen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der einzige für das Deutsche Reich startende Kommunist und die einzige “Halbjüdin” nur Alibifunktion hatten. Dass vor den Spielen die in Berlin lebenden Sinti und Roma nach Marzahn verbracht wurden gehört dagegen schon fast zum üblichen Vorgehen bei Olympischen Spielen, wovon vor allem die Obdachlosen der entsprechenden Städte zu berichten wissen. Durch diese Maßnahmen gelang es der Reichsregierung aus einem sportlichen Fest der Völker ein Fest des nationalsozialistischen Deutschland zu machen.

1972 wurden die Olympischen Spiele dann zur politischen Bühne in der bisher wohl schrecklichsten Art der olympischen Geschichte. Acht palästinensische Terroristen der Organisation Schwarzer September drangen unbehelligt in das olympische Dorf ein und nahmen elf israelische Sportler als Geiseln, von denen zwei bereits im olympischen Dorf getötet wurden. Fünf der Terroristen, ein deutscher Polizist und alle übrigen Geiseln starben während eines 45minütigen Feuergefechts auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck. Wie im Terrorismus allgemein üblich wählten die Attentäter mit den Sportlern so genannte weiche, also nicht verteidigte Ziele. Russen und Israelis haben in der Vergangenheit reichhaltige Erfahrung mit überfällen auf Theater, Schulen, Cafes oder Schulbusse machen müssen und der Angriff auf die israelischen Sportler bildet da keine Ausnahme. Dennoch war dieses Attentat von besonderer Bedeutung, denn zum einen hatte niemand mit einem Angriff auf Sportler gerechnet, zum anderen nutzten die Terroristen das friedliche Umfeld der Spiele schamlos aus. So konnten sie vor allem deshalb unbehelligt bis zu den Sportlern vordringen, weil das olympische Dorf als Zeichen der Weltoffenheit und der friedlichen Haltung Deutschlands kaum bewacht wurde. Aus Sicht der deutschen Behörden waren die Spiele ein friedliches internationales Sportfest, aus Sicht der Terroristen nur eine weitere Möglichkeit, wehrlose Menschen anzugreifen. Gezielt nutzte Schwarzer September hierbei die mediale Aufmerksamkeit, die den Spielen zu teil wurde für Ihre eigenen Zwecke aus.

Die Spiele von 1980 und 1984 sind weitere Beispiele für die politische Bedeutung der Olympischen Spiele. Bereits vor der Vergabe der Spiele an Moskau wurde die Forderung erhoben, die Vergabe an eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in der UdSSR zu knüpfen. Zur katastrophalen Menschenrechtssituation gesellte sich 1979 der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan. Als Reaktion hierauf boykottierten 64 Staaten, unter ihnen die USA und die BRD, die Spiele in Moskau. Etliche weitere nahmen nur unter olympischer Flagge oder nur durch einzelne Verbände vertreten teil. Die Reaktion auf diesen Boykott war wie zu erwarten war keine Einführung von Bürgerrechten, sondern der Boykott der Spiele von 1984 durch die Staaten des Ostblocks mit Ausnahme Rumäniens.

Nicht vergessen seien in diesem Zusammenhang die Spiele 1976, die von 243 afrikanischen Staaten boykottiert wurden, weil das IOC sich weigerte, Neuseeland, das kurz zuvor den Sportbann gegen Südafrika gebrochen hatte, die Teilnahme zu versagen und eben dieser Sportbann, mit dem über den Umweg des Sports versucht wurde, Druck auf das Apartheidssystem in Südafrika auszuüben.

Insgesamt kommt man nicht umhin, festzustellen, dass die Olympischen Spiele der Neuzeit immer auch die politische Bühne des Gastgeberlandes sind und zudem in vielen Fällen als politisches Kampfmittel gebraucht werden. Hinzu tritt die nationale Selbstdarstellung der teilnehmenden Staaten, für die jede Medaille einen nationalen Triumph bedeutet. Vor diesem Hintergrund ist es unverzeihliche Dummheit oder Verlogenheit, wenn sich Sportler über die angebliche Politisierung der Olympischen Spiele beklagen. (Abgesehen davon habe ich noch nie davon gehört, dass sich ein Sportler gegen die politische Vereinnahmung durch sein Land gewehrt hätte, solange diese in großzügigem Sponsoring bestand, oder der Verwendung im Polizei- oder Miliärdienst bei gleichzeitiger Freistellung von allen Pflichten zum Zwecke des besseren Trainings. Die Klagen beginnen erst, wenn die Befolgung der grundlegenden überzeugungen des eigenen Staates, hier: Beachtung der Menschenrechte, eingefordert wird.)

In diesem Sinn: Schöne Spiele!