Archiv für August 2010

Zitat des Tages: Edward Said (die Zweite)

Montag, August 30th, 2010

Yet for all its success - indeed because of its success - in ridding many territories of colonial overlords, nationalism has remained a deeply problematic enterprise. When it got people out on the streets to march against the white master, nationalism was often led by lawyers, doctors, and writers who were partly formed and to some degree produced by the colonial power. The national bourgeoisies and their specialized élites […] in effect tended to replace the colonial force with a new class-based and ultimately exploitative one, which replicated the old colonial structures in new terms. There are states all across the formerly colonized world that have bred pathologies of power, as Eqbal Ahmad has called them.
(Edward Said, Culture and Imperialism)

Von Freilassung und Selbstbefreiung

Sonntag, August 29th, 2010

In der Vergangenheit bin ich wiederholt in die Diskussion geraten, ob sich ein Mann berechtigterweise als Feminist bezeichnen könne (online hier und hier). Meine bisherige Haltung dazu war – in aller Kürze wiedergegeben – dass diese Selbstbezeichnung falsch sei, da der Feminismus der theoretische Überbau der Frauenemanzipation sei, die Emanzipation aber die Selbstbefreiung der Frauen sei und man als “Unterdrücker” nicht Teil der Befreiungsbewegung, sondern höchstens Sympathisant sein könne. Dieses Verständnis von Emanzipation ist natürlich der etymologischen Prüfung wert und… hält ihr nicht stand.

Nach dem Online Etymology Dictionary leitet sich der Begriff vom lateinischen emancipatus ab, was das Partizip Perfekt Passiv von emancipare ist. Emancipare wiederum setzt sich zusammen aus ex (aus, heraus) und mancipare (liefern, übertragen, verkaufen), das sich von mancipum (Eigentum), bestehend aus manus (Hand) und capere (nehmen). Emancipare bedeutet, “jemanden zum Freien erklären” oder “seine Autorität über jemanden aufgeben”. Der emancipatus ist dementsprechend der aus der Autorität eines anderen Entlassene. Im römischen Recht betrifft das allerdings vornehmlich Vorgänge innerhalb der Familie, also die Freilassung eines Kindes oder der Ehefrau. Der Etymologie nach ist die Emanzipation also ein aktiver Vorgang des Herrschenden, eben eine Freilassung, keine Selbstbefreiung.

Dieses Verständnis wirft aber ein (für mich) neues Licht auf die großen Emanzipationsbewegungen der letzten drei Jahrhunderte: die Emanzipation der Afroamerikaner (Abschaffung der Sklaverei 1865 und Kampf um Gleichstellung in den 1960ern), der Juden (Erhalt der Bürgerrechte 1776 bis 1874) und der Frauen (Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute). Gerade im Zusammenhang mit der Emanzipation der Afroamerikaner und der Frauen wird von Mitgliedern dieser „Gruppen“ gerne der eigene aktive Anteil betont und die Geschichte als eine Geschichte der Selbstbefreiung erzählt. Nicht, dass Selbstbefreiung unmöglich wäre. Die französischen Bürger haben sich selbst von der Ständegesellschaft befreit, die Afrikaner haben sich (soweit notwendig) von ihren Kolonialherren befreit, Griechenland hat sich von der Besetzung durch die Türken befreit. Allen diesen Fällen ist gemeinsam, dass die Selbstbefreiung erreicht wurde durch bewaffneten Kampf gegen die Herrscher. Das Joch wurde gewaltsam abgeschüttelt.

Was die drei genannten Emanzipationsbewegungen gemeinsam haben ist aber gerade das Fehlen von Gewalt. Nicht, dass es nicht zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen wäre, aber die Abschaffung von Herrschaftsstrukturen durch Gewalt, die die genannten Selbstbefreiungen charakterisiert, hat in dieser Form nicht stattgefunden. Vielmehr wurde in allen Fällen die Freiheit durch Unterstützung aus der “Herrschergruppe” und durch mehrheitliche Billigung der Befreiung durch die Herrscher erreicht. Afroamerikaner, Juden und Frauen haben sich eben nicht selbst befreit, sie wurden durch die/das herrschende Rasse, Religion, Geschlecht in die Freiheit entlassen. Und hier widerspricht das landläufige Verständnis des Begriffs „Emanzipation“ nicht nur seinen Wurzeln, sondern auch der historischen Realität.

Schmälert diese Einsicht nun das Verdienst der entsprechenden Bewegung, weil sie ihre Freiheit nicht selbst erkämpft, sondern von den Herrschern geschenkt bekommen haben? Unsinn. Natürlich beruhte die Freilassung darauf, dass die Unterdrückten für diese Freilassung gekämpft haben. Aber dieses Verständnis von Emanzipation bringt es mit sich, dass man auch als Weißer, Christ, Mann sich als Teil dieser Bewegung und ihres theoretischen überbaus bezeichnen kann. Daher nehme ich hiermit Abstand von der Behauptung, ein Mann könne kein Feminist sein.

Die Anderen im Antikriegsfilm

Sonntag, August 8th, 2010

In “Culture and Imperialism” untersucht Edward Said “Heart of Darkness” von Joseph Conrad auf seine imperialistischen Elemente, also auf die Darstellung der kolonisierten Völker und das sich darin zeigende Verhältnis Conrads zum Imperialismus. Bedenkt man nun, dass der Film “Apocalypse now” auf Conrads Roman beruht, drängt sich die Frage auf, ob die von Said identifizierten imperialistischen Elemente im Film übernommen wurden. Will man den Bogen größer spannen, kommt man zur Frage, wie grundsätzlich die Anderen im Antikriegsfilm dargestellt werden.

Um das Verständnis zu erleichtern, sei vorangestellt, dass ich unter einem Antikriegsfilm einen Film verstehe, dessen Handlung innerhalb eines Krieges spielt und der zu diesem Krieg eine kritische Haltung einnimmt, ein friedfertige Stimmung beim Zuschauer hervorrufen will. Mit diesem Verständnis liegen folgende Filme meinen Überlegungen zugrunde: Apocalypse now (1979), Platoon (1985), Full Metal Jacket (1986), Stalingrad (1993), Jarhead (2005) und The Hurt Locker (2008).

Alle diese Filme schildern Krieg aus Sicht des Westens, sei es aus deutscher (Stalingrad), sei es aus us-amerikanischer Sicht (alle anderen). Die Anderen sind hier Vietnamesen und Kambodschaner, Russen und Iraker. Ihre Auftritte haben sie als gesichtslose Kriegsgegner und primitive Eingeborene (Apocalypse now), Vergewaltigungsopfer (Platoon), Prostituierte oder Feind (Full Metal Jacket), feindlicher Kombattant (Stalingrad), Leiche (Jarhead) oder als Terroropfer beziehungsweise Zivilist (The Hurt Locker).

Was die Anderen in allen Filmen gemeinsam haben, ist ihre Gesichtslosigkeit. Sie werden nicht individualisiert sondern haben ihre Auftritte als reine Funktionsträger. Ihre Aufgabe ist es nicht, persönliches Leid zu zeigen, sondern sie sind lediglich Mittel zum Zweck des Transports einer Botschaft: weder erfährt der Zuschauer, warum die Heckenschützin in Full Metal Jacket sich entscheidet, gegen die Amerikaner zu kämpfen, noch wird in Stalingrad das Verhältnis der Rotarmisten zum Krieg thematisiert. Ihre Auftritte dienen lediglich dazu, zu zeigen wie verletzlich die Protagonisten sind, wie sinnlos der Krieg ist. Die Anderen dienen als Statisten für Momente des Heldentums und der Tragik, sie selbst bleiben aber Episode, ja, ihr Auftauchen hat fast etwas Anekdotisches. Was die Filme zu Antikriegsfilmen macht, die Darstellung von Grausamkeit und Sinnlosigkeit erfolgt immer aus Sicht der eigenen Seite, immer aus Sicht des Westens. Die Botschaft dieser Filme ist mitnichten, dass Krieg als inhuman abzulehnen ist. Die Botschaft dieser Filme ist: Wir wollen keinen Krieg, weil unsere Jungs darunter leiden. Die Botschaft ist westlich zentriert, und hier enthüllt sich statt Humanismus Isolationismus.

Eine Sonderstellung nimmt noch The Hurt Locker ein. Die Darstellung der Iraker erscheint überzeichnet: sie sind laut, gedankenlos, weinerlich. Entweder sie legen Bomben um sich gegenseitig zu ermorden, oder sie lamentieren stundenlang in den falschen Situationen herum, diskutieren mit Soldaten, die gerade anderes zu tun haben und stehen den Profis im Weg, die die Suppe auslöffeln müssen, die die Iraker sich selbst eingebrockt haben. Hier finden wir den Said’schen Orientalismus mit umgekehrter Intention. Die klischeehafte Darstellung der Iraker dient nicht wie zu Conrads Zeiten der Begründung für Eroberung und Beherrschung (nach dem Motto: “Diese Primitiven können sich nicht selbst regieren, deshalb müssen wir das für sie tun”) sondern der Delegitimierung des militärischen Engagements. Es scheint fast, als wollte der Film sagen: “Seht wie der Krieg unsere Jungs zurichtet. Und wofür? Für diese halbwilden Kameltreiber?”

Ich will keinem der Regisseure oder Drehbuchautoren unterstellen, er hätte bewusst die Anderen marginalisieren wollen – nichtsdestotrotz ist die Traditionslinie eurozentristischer, abwertender Darstellung unübersehbar.

Zitat des Tages: Edward Said

Donnerstag, August 5th, 2010

If one believes with Gramsci that an intellectual vocation is socially possible as well as desireable, then it is an inadmissible contradiction at the same time to build analyses of historical experience around exclusions, exclusions that stipulate, for instance, that only women can understand feminine experience, only Jews can understand Jewish suffering, only formerly colonial subjects can understand colonial experience.
(Edward Said, Culture and imperialism, 1993)

Kolonien und Rohstoffe

Dienstag, August 3rd, 2010

China beschränkt die Ausfuhr so genannter seltener Erden, Metalle die erst im 19. und 20. Jahrhundert entdeckt wurden und damals als selten galten: Samarium, Terbium, Neodym und andere. Gebraucht werden diese Metalle für Handys, Computer, Navigationssysteme (z. B. Im amerikanischen Abrams) oder Reaktoren (z. B. In Atom-U-Booten). Und da China 90% der einfach erreichbaren Quellen seltener Erden besitzt (so zumindest das Handelsblatt) steht dem Westen ärger ins Haus.

Dem Westen wohlgemerkt nur deshalb, weil China mit über einer Milliarde Einwohnern nicht gerade ein Zwergenstaat ist und über eine Armee verfügt, die mehr besitzt als nur Keulen. Das war natürlich nicht immer so. Wenn wir uns erinnern: Als China 1839 die Opiumeinfuhr verbot, entsandte England eine Kriegsflotte, die mit Waffengewalt den Markt wieder öffnete. Nicht anders endete der zweite Opiumkrieg zwischen 1856 und 1860 – eine Folge der Verhaftung britischer Opiumschmuggler durch die chinesischen Behörden. Ähnliches erlebten die Japaner, die 1853 von einer us-amerikanischen Flotte zur Öffnung des Landes gezwungen wurden. Das waren die goldenen Zeiten westlicher Kanonenbootpolitik.

Allein die Vorstellung, westliche Truppen würden in China einmarschieren, um die verstärkte Ausfuhr seltener Erden durchzusetzen erscheint absurd. Aber andererseits stelle man sich nur einmal vor, Nigeria würde die Förderung von Erdöl verbieten; oder Sierra Leone die Ausfuhr von Diamanten; oder der Irak würde Kuwait erobern und damit faktisch die nahöstlichen Ölquellen monopolisieren… Man sieht also: In China ist die Dekolonisierung abgeschlossen, aber es gibt genug Länder auf dieser Welt, die – politische Unabhängigkeit hin oder her – den Status der Kolonie zumindest wirtschaftlich nie abgeschüttelt haben.