Archiv für April 2009

21. Jahrhundert

Freitag, April 17th, 2009

Wenn das (lange) 19. Jahrhundert die Zeit der Revolutionen und das (kurze) 20. Jahrhundert die Zeit der ideologischen Gegensätze war, erst des Kampfes zwischen Faschismus und Kommunismus, dann der Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Liberalismus, was mag dann das 21. Jahrhundert sein? Eine Ära des Friedens ist sie wohl nicht und dass der Gegensatz zwischen westlicher Kultur und Islam(ismus) das Potential hat, eine ganze Epoche zu bestimmen, halte ich für zweifelhaft.

Wo manch anderer angesichts der Herausforderung durch Islam und Wirtschaftskrise die Rückkehr der Ideologien erwartet, sehe ich ein Zeitalter der Beliebigkeit heraufziehen. Wenn man mit Peter Gay sagt, dass die Moderne eine Zeit der Häresie gewesen sei, was bleibt dann für die Postmoderne? Die großen Tabubrüche in künstlerischer wie in politischer Hinsicht hat die Moderne längst vollzogen. Die Ständegesellschaft wurde abgeschafft, eine klassenlose Gesellschaft (oder Volksgemeinschaft) erträumt, auf die Gegenständlichkeit der Darstellung verzichtet, die Tonalität aufgegeben und das Individuum zuerst gefeiert, um dann in einer namen- und gesichtslosen Masse wieder aufgelöst zu werden. Gesellschaftliche Tabus scheinen einer vergangenen Zeit anzugehören, denn über alles wurde bereits gelacht, sogar über das Dritte Reich.

Was übrig bleibt ist grenzenlose Unbestimmtheit. Wo alles Kunst sein kann, da ist kein Raum für ästhetische Dogmatik oder den bewussten Tabubruch. Wo alles denkbar erscheint und inmitten der Demokratie Faschismus und Kommunismus verherrlicht werden, da ist kein Platz für ideologische Bindung. Das geistige Zentrum des postmodernen Menschen ist da Individuum und weil alles nur das Individuum betrifft ist alles möglich und alles erlaubt. Und diese Masse uniformer Individualisten sieht die Werte, die ihre Vorfahren erkämpft haben und nimmt sie doch nicht wahr. Die Demokratie wird an die Wirtschaftslobby verkauft und Menschenrechte stehen im Belieben des Staates. Die Kunst verehrt sich selbst und feiert ihre Bedeutung für die Gesellschaft und die Gesellschaft sieht “Deutschland sucht den Superstar”.

Vielleicht wird das 21. Jahrhundert tatsächlich eine Zeit der Auflösung.