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Schwere Erkenntnis

Samstag, August 22nd, 2009

Irgendwie scheinen Gesellschaften einen gewissen Hang zur Verherrlichung ihrer Streitkräfte zu haben. Im antiken Rom führten die meisten politischen Karrieren über den Umweg des Heeres. Für die Preußen war die Armee die Schule der Nation und sowohl Franzosen, als auch Briten als auch US-Amerikaner halten seit jeher große Stücke auf ihre Armeen. Und jetzt das: die Israelis traditionell (und in gewisser Weise auch zurecht) ihrer Armee in Stolz und Dankbarkeit verbunden, diskutieren offiziell über ihr Verhalten während der letzten Gaza-Kampagne. Vieles von dem, was die Teilnehmer erzählen lässt sich nur als Kriegsverbrechen qualifizieren und so ist es durchaus verwunderlich, dass das Thema überhaupt zur Sprache kommt. Leider muss man einschränkend hinzufügen, dass bei aller Auseinandersetzung mit den Einzelfällen auch in der israelischen öffentlichkeit wenig Bereitschaft zu bestehen scheint, sich einzugestehen, dass es tatsächlich zu Kriegsverbrechen kam (an dieser Stelle nochmal Danke an Svenja für die Infos).

Dennoch kann ich der israelischen Gesellschaft eine gewisse Anerkennung nicht versagen. In der us-amerikanischen Öffentlichkeit begann die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Vietnamkrieges erst in den 90er Jahren, also gut 20 Jahre nach dem Abzug. Und ich selbst erinnere mich noch gut an die Aufregung um die Wehrmachtsausstellung.

Neben der berechtigten Kritik an historischen Ungenauigkeiten innerhalb der Ausstellung ist mir vor allem eines in Erinnerung geblieben: die selbstgerechte Empörung von Teilnehmern und Epigonen des Zweiten Weltkriegs über die angebliche Unterstellung, jeder Wehrmachtssoldat hätte Kriegsverbrechen begangen. Dabei hat die Ausstellung nichts anderes bezweckt (und bewirkt), als die bundesrepublikanische Öffentlichkeit dazu zu zwingen, die Tatsache anzuerkennen, dass die Wehrmacht institutionalisiert, das heißt von höchster Kommandoebene angeordnet, Kriegsverbrechen begangen hat. Diesen Umstand, den zumindest Historiker seit den 50er Jahren kannten, anzuerkennen viel der deutschen Öffentlichkeit selbst 50 Jahre nach Kriegsende noch spürbar schwer.

Grund hierfür war wahrscheinlich zum einen die allen Gesellschaften immanente Verherrlichung ihrer Streitkräfte und zum anderen, dass die Illusion der schuldlosen Wehrmacht einer der Gründungsmythen der Bundesrepublik war. Wie die DDR an den Antifaschimus, so glaubte die junge Bundesrepublik daran, dass Verbrechen allein von der SS begangen worden seien, während die Wehrmacht einen “sauberen” Krieg gefochten habe, “anständig geblieben sei - um die Worte Himmlers zu verwenden. Wie man sich 50 Jahre lang einreden konnte, der ideologisch aufgeheizte Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion sei kriegsrechtlich ohne Beanstandung abgelaufen ist mir schleierhaft. Aber vielleicht ist genau das die Natur von Mythen. Glücklicherweise sind die Deutschen diesem Mythos entwachsen. Ich gehe davon aus, dass der israelischen Gesellschaft mittelfristig ein ähnlicher Reifungsprozess bevorsteht.

Israelische Besonderheiten

Freitag, August 21st, 2009

Durch zwei Blogbeiträge wurde ich auf Besonderheiten der israelischen Rechtslage aufmerksam gemacht, die - im besten Fall - reichlich individuell sind:

Im neuesten Beitrag bei Talmud und Techno berichtet Svenja, dass es in Israel Einwanderern verboten sei, sich in Zentralisrael niederzulassen, das heisst im Gebiet zwischen Hadera und Gedera. Verrät mir mal jemand, was der Quatsch soll? Wenn ich nicht in Tel Aviv leben darf, hat sich meine Auswanderung nach Israel soeben erledigt. ;-)

Noch spannender allerdings finde ich einen Artikel der Süddeutschen Zeitung, das israelische Ehestandsrecht betreffend: Israel anerkennt keine gemischt-religiösen Ehen. Oder besser: der israelische Staat anerkennt in Israel geschlossene Ehen nur, wenn sie von einem Geistlichen geschlossen wurden (und die trauen keine gemischt-religiösen Paare)… weshalb Israelis im Zweifelsfalle zum Heiraten nach Zypern fliegen.

Natürlich könnte man jetzt vertreten, dass die Beschränkung der Eheschließung auf geistliche Autoritäten ein kluger Schachzug des israelischen Staates war, um Streit mit den vielen religösen Gruppen zu vermeiden und ein Zeichen für die moderne Einstellung Israels ist, das das Institut der Ehe als religiöse Besonderheit ohne jeden wirklichen Bezug zum säkularen Staat behandelt. Aber an manchen Abenden habe nicht einmal ich Lust, Israel zu verteidigen.

Habt Mitleid!

Sonntag, Juli 5th, 2009

Das Tischtuch scheint zerschnitten zwischen der Internetgemeinde und einem großen Teil der politischen Klasse. Während die Politiker den Eindruck machen, sie verstünden überhaupt nicht, was eigentlich das Problem sei, fühlt sich die Generation Internet (mal wieder) missverstanden und von Kontroll- und Unterdrückungsfanatikern verfolgt. Dementsprechend herrscht eine Mischung aus Frustration und Wut vor und gerade die SPD, auf deren linkes Erbe die Internetgemeinde im Kampf gegen die Netzsperren gesetzt hatte bekommt diese Wut zu spüren. In Blogs und Foren wird sie als absolut unwählbar betrachtet und ihr jede Gefolgschaft aufgekündigt. So verständlich Zorn und Enttäuschung auch sind, so ungerecht sind diese Gefühle den Politikern gegenüber. Liebe Internetgemeinde – habt Mitleid mit unseren Politikern!

In der Diskussion um die Netzsperren wurde deutlich, dass die wenigsten Politiker verstanden haben, was im Internet in technischer wie politischer Hinsicht vor sich geht. Aber das wirklich tragische ist, dass das nicht das einzige ist, was unsere Politiker nicht verstehen. Tatsächlich verstehen sie die Welt nicht mehr.

Die wahrscheinlich einschneidendsten und damit bedeutendsten „Ereignisse“, die man verstehen muss, will man die Welt so wie sie jetzt ist verstehen, waren der Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 80er und der Siegeszug des Internets Mitte der 90er Jahre. Der Zusammenbruch des Ostblocks hat den stabilisierenden Antagonismus zwischen der Sowjetunion und den USA beendet und das Internet die weltweite Kommunikation und Information revolutioniert. Und welches Personal steht zur Verfügung, um mit den sich daraus ergebenden Problemen umzugehen?

Man kann wohl guten Gewissens davon ausgehen, dass der größte Teil der politischen Sozialisation eines Menschen im Alter von etwa 25 Jahren abgeschlossen ist. Auf der Basis dieser Erfahrungen wird er für den Rest seines Leben seine Urteile fällen. Das im Hinterkopf werfen wir nun einen Blick auf die Altersverteilung des Bundestages. 82,35% aller im deutschen Bundestag sind vor dem Jahr 1966 geboren. 97,55% sogar vor dem Jahr 1976. In welcher Welt sind diese Menschen aufgewachsen?

Um es kurz zu machen: In einer einfachen, übersichtlichen Welt. Die Außenpolitik wurde vornehmlich von den USA und der Sowjetunion bestimmt und die provinzielle Bonner Republik durfte sich darauf beschränken, hin und wieder die Rolle eines Vermittlers einzunehmen. Arbeitslosigkeit war kein nennenswertes Problem und sowohl die Renten, als auch das Gesundheitssystem wirkten sicher (zumindest, wenn man nicht zu genau hinsah und nicht genau hinsehen ist es, was einen Politiker ausmacht). Das einzige innenpolitische Problem waren die Wirrköpfe von der RAF und wenn man die Kommunikation der Bürger erschweren wollte, brauchte man sich nur an die Bundespost zu wenden, die Telefone und Briefverkehr kontrollierte. Welch Schlaraffenland!

Und die in dieser idyllischen Zeit aufgewachsenen Politiker, deren einzige ernste Sorge es war, dass eine der Supermächte einen Atomkrieg vom Zaun brach, sehen sich heute gezwungen, Politik in einer unübersichtlichen Welt zu gestalten. Statt zwei Supermächten, die in ihrer jeweiligen Einflusssphäre für Ordnung sorgen, ringen fünf Großmächte um Einfluss; Statt einer Handvoll verrückter Bombenleger wird die innere Sicherheit durch eine islamistische Todeskultur, durch zunehmende soziale Ungleichheit und durch das Erstarken politisch radikaler Kräfte bedroht. Und statt sich Briefe zu schreiben, schicken sich die Menschen Emails und kaufen sich auf der Straße Mobiltelefone, die kaum noch individuell zuzuordnen sind. Und da sollen unsere Politiker den überblick behalten? Keine Chance!

Und so ist es kein Wunder, dass der Bundesinnenminister (vielleicht auch geprägt durch seine eigenen Erfahrungen) hinter jedem Bart einen Terroristen vermutet und versucht, rein vorsorglich das ganze Volk zu unterdrücken; da ist es kein Wunder, dass unsere Bundeskanzlerin sich in Untätigkeit flüchtet und sich darauf beschränkt, medienwirksam aber bedeutungs- und folgenlos „wichtigen“ Politikern die Hände zu schütteln; da ist es kein Wunder, dass das Kabinett angesichts einer beachtlichen Finanz- und Wirtschaftskrise mit Geld um sich wirft, in dem sicheren Bewusstsein, dass sie längst tot sein werden, wenn dem Staat der finanzielle Kollaps droht; und so ist es schließlich auch kein Wunder, dass unsere Familienministerin lächerliche „Stopschilder“ einrichten lässt, die nicht einen einzigen Kindesmissbrauch verhindern können, aber ihr das Gefühl vermitteln, wenigstens irgendetwas getan zu haben.

Daher: Habt Mitleid mit unseren überforderten Politikern und helft ihnen, statt zu schmollen!

Nachtrag: Bei genauer Betrachtung wundert es mich nicht mehr, dass jede revolutionäre Bewegung von der Jugend getragen wurde.

Blog-Wiederauferstehung

Samstag, Juli 4th, 2009

Bei der FAZ lese ich nur die beiden Orchideen-Blogs. Einer von den beiden ist Wiederauferstanden - “Zwischen Techno und Talmud”. Bisher hat Svenja Kleinschmidt allerdings erst über ihre Rückkehr und einen Besuch in den Siedlungen berichtet. Danke Svenja, danke!

Die Medien und die Wahrheit

Samstag, Juli 4th, 2009

Die Vertreter der deutschen Zeitungsverlage fordern in letzter Zeit immer stärker den Schutz der Zeitungen, da diese angesichts der kostenlosen Konkurrenz des Internets angeblich vom Aussterben bedroht seien. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedürfe aber des Qualitätsjournalismus, den die Zeitungen liefern. Qualitätsjournalismus?

Vergleicht man die Berichterstattung der deutschen Medien zu den aktuellen Geschehnissen in Iran mit der Berichterstattung zum G8-Gipfel in Heiligendamm bekommt der Begriff „Qualitätsjournalismus“ eine ganz neue – nun ja – Qualität.

Die deutschen Printmedien haben ohne nennenswerte Ausnahme sehr positiv über die Proteste in Iran berichtet. Die Maßnahmen der iranischen Sicherheitsbehörden wurden dabei ausdrücklich kritisiert. Erinnert man sich demgegenüber an die Berichterstattung aus Heiligendamm so fällt eines auf: die Kritik an den deutschen Sicherheitskräften hielt sich in engen Grenzen. Die bereits im Vorfeld erfolgte Gängelung der Demonstranten wurde ebenso ignoriert wie die massiven übergriffe auf friedliche Protestierer (natürlich, welcher Polizist ist schon so verrückt, den schwarzen Block anzugreifen). Und selbst menschenunwürdige Käfighaltung der Verhafteten und die ungerechtfertigte Beschränkung Ihrer Grundrechte (und nichts anderes ist die Vorenthaltung eine Anwalts) wurde noch mit einem Augenzwinkern quittiert, statt mit Forderungen nach dem Rücktritt der zuständigen Innenminister. So weit ich mich erinnere haben sich die ausländischen Medien keine derartige Zurückhaltung auferlegt.

Woher aber diese selektive Berichterstattung? Selbstzensur? Vielleicht wollten die Medien nach dem „Sommermärchen“ 2006 nicht die ersten sein, die die schwarz-rot-goldne (Selbst-)Herrlichkeit stören.