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9. November

Donnerstag, November 13th, 2008

Der 9. November liegt nun ein paar Tage zurück und gab wieder einmal Anlass, über die Bedeutung dieses Datums in der deutschen Geschichte zu reflektieren. Glaubte man an das Schicksal, so ließe sich der 9. November unzweifelhaft als Schicksalstag der Deutschen bezeichnen. Schließlich markiert er nicht nur den entscheidenden Tag zweier Revolutionen, sondern auch das kurzzeitige Ende von Aufklärung und Humanität in Deutschland.

Der 9. November 1918 markiert nicht nur das Ende des wilhelminischen Kaiserreichs und der untergeordneten Monarchien und damit das Ende aller deutschen Monarchien (wenn auch nicht das Ende totalitärer Herschaft in Deutschland), sondern ich würde sogar soweit gehen, in der Revolution das endgültige Ende des sogenannten alten Reichs, des 1806 aufgelösten Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, zu erblicken. Zwar lebte das wilhelminische System aus einer gesamtdeutschen Idee heraus, die dem alten reich völlig fremd war, doch hatten sowohl die Monarchie, als auch die Reichsidee weiterhin Bestand. Zudem stellte sich das wilhelminische Deutschland wenn auch fälschlicherweise so doch bewusst in eine ununterbrochene Traditionslinie mit den mittelalterlichen Wurzeln des Reiches. Mit der Monarchie fand auch diese Traditionslinie durch die Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann ihr Ende. Der Umstand, dass nahezu zeitgleich durch Karl Liebknecht die Sozialistische Republik ausgerufen wurde wirft bereits ein bezeichnendes Licht auf die Weimarer Republik und ihre folgenden Probleme.

In einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem 9. November 1918 steht der 9. November 1989. An diesem Tag haben die Deutschen, wie es das Grundgesetz nahezu poetisch formuliert, “in freier Selbstbestimmung die… Freiheit Deutschlands vollendet” und damit auch dem (vorerst) letzten totalitären System auf deutschem Boden den Todesstoß versetzt.

Der 9. November 1938 markiert ebenfalls einen Wendepunkt in der deutschen Geschichte, nämlich die Wende von der organisierten Diskriminierung der deutschen Juden hin zu ihrer physischen Verfolgung. Für die nationalsozialistische Revolution (wenn man diesen Begriff denn ob des tiefen Eingriffs der Machthaber in alle Lebensbereiche, ob der Installation eines totalen Staates, der in seiner Vereinnahmung der Bürger den sozialistischen Regimes nicht unähnlich war verwenden will) war der Tag dabei weniger bedeutend, als für die Deutschen in ihrer Gesamtheit. An diesem Tag nämlich entschieden sie sich für die Gefolgschaft oder zumindest die Duldung eines offensichtlich verbrecherischen Regimes und gegen alle Errungenschaften der Aufklärung, gegen die Judenemanzipation, gegen die Idee der Gleichberechtigung, gegen die Idee der Menschenrechte. Lag er auch lange vor der Wannseekonferenz, so trat an diesem Tag (oder besser der Nacht) die Bereitschaft des Regimes zu offener Gewalt zutage. Wäre nach dieser öffentlichen Demonstration des Vernichtungswillens ein Aufschrei der Empörung durch Deutschland gegangen, so wäre der folgende industrielle Massenmord unter Umständen zu verhindern gewesen. Doch der Aufschrei blieb aus. Wirtschaftlicher Aufschwung und ein neu erwachtes nationales Selbstwertgefühl waren den Deutschen Gegenwert genug für den massenhaften Mord an ihren Mitbürgern und in den folgenden Jahren ihren europäischen Nachbarn.

Dreimal der 9. November, drei Schicksalstage, drei historische Ereignisse – und doch scheinen sie nichts miteinander zu tun zu haben, scheint es keinerlei innere beziehung zwischen diesen Ereignissen zu geben. Dennoch gleichen sich diese Ereignisse auf einer sehr abstrakten Ebene, denn alle drei Tage waren Tage der kollektiven Entscheidung. 1918 entschieden sich die Deutschen gegen den Krieg und gegen eine ökonomisch und legimatorisch ruinierte Monarchie; 1989 entschieden sich die Deutschen in der DDR für die Freiheit und für die Einheit; 1938 entschieden sie sich ebenfalls – gegen ihre Mitmenschen, gegen die Bändigung eines auf Gewalt beruhenden, die Gewalt feiernden Systems.

Natürlich ist diese Sichtweise eine stark vereinfachte und lässt die Komplexität, den Kausalitätspluralismus der Ereignisse zumindest vordergründig außer Betracht. Und dennoch meine ich, dass diese Sichtweise trotz ihrer Einfachheit nicht falsch ist. Es bleibt zu hoffen, dass sich daraus keine Regelmäßigkeit entwickelt.

Ich weiss wo ich war

Mittwoch, September 10th, 2008

Zum siebten Mal jährt sich morgen ein Ereignis, das die letzten sieben Jahre weltpolitisch geprägt hat und wahrscheinlich auch die nächsten zehn Jahre prägen wird – wenn zwischenzeitlich nichts schlimmeres passiert: das Attentat auf das World Trade Center. Ich werde allerdings keine Reflexionen darüber anstellen, was die sozialen, ökonomischen oder politischen Auswirkungen waren, ob die USA eine einmalige Chance auf Frieden verspielt haben oder ob, wie ein Großteil der arabischen Welt zu glauben scheint, das Attentat in Wahrheit vom Mossad verübt wurde. Mir geht es um einen anderen, weit persönlicheren Aspekt. Der 11. September 2001 war einer der Ich-weiss-wo-ich-war-Tage; neben dem 09. November 1989 einer von zweien für meine Generation.

Wo war ich an diesem Tag, der die Welt verändern sollte? Ich war in der Uni und habe mehr oder weniger motiviert (wahrscheinlich eher weniger als mehr) für mein Examen gelernt. Da der Sohn meines Patenonkels an diesem Tag Geburtstag hat, habe ich das Seminar zeitig verlassen und bin in seeliger Ahnungslosigkeit zum Kaffeetrinken erschienen, in der berechtigten Erwartung, dass das schwerwiegendste was mir an diesem tag noch zustoßen würde, eine Sahnetorte sei.

Kaum angekommen, wurde ich mit der Nachricht überfallen, ein Flugzeug sei in das World Trade Center geflogen. Bis heute sehe ich das Bild vor mir, das damals vor meinem geistigen Auge aufstieg: eine kleine Sportmaschine zerschellt an einem Hochhaus. Das war dann wohl mindestens der zweite Irrtum an diesem Tag. Innerhalb von Minuten wurde aus der Sportmaschine ein Passagierflugzeug und die Nachricht vom Einsturz des ersten Turms überraschte mich beim ersten Stück Kuchen. Langsam von einer Ahnung der Tragweite der Ereignisse erfasst sprintete ich zum nächsten Fernseher und sah wieder und wieder die Bilder vom Einsturz des Turms.

Keine drei Minuten danach saß ich vor dem Fernseher meiner Eltern – dem nächsterreichbaren vor dem ich meine Ruhe hatte – und sah mir auf mindestens zwei Kanälen die Kommentare und Analysen an, während ich versuchte meine besten Freunde zu erreichen und ihnen das Unglaubliche zu berichten. Ich habe beide erreicht und zu meiner nicht geringen Enttäuschung waren beide bereits informiert. Sicher eine Stunde lang habe ich mit meinem besten Freund und meiner besten Freundin die Lage analysiert – wenn auch auf bedenklicher Datenbasis.

Von Anfang an war ich mir ganz sicher, dass dieses Attentat auf Ussama Bin Laden zurückgehen musste. Im Nachhinein bin ich darüber reichlich verwundert, denn ich kann mich nicht erinnern vor dem 11.09. jemals von Bin Laden oder Al Qaida gehört zu haben. So viel zum Einfluss der Medien. In anderer Hinsicht war ich mir ebenfalls sicher und leider hat die seither vergangene Zeit mich nicht eines besseren belehrt: dass die Amerikaner auf diesen Angriff mit Krieg reagieren würden. Trotz der zahlreichen Zweifel (oder Hoffnungen), die in den folgenden Tagen zu hören waren, stand für mich fest, dass die USA einen Schuldigen finden würden und dass es allein mit einer handvoll Terroristen nicht getan sein konnte. Irgendein Land hatte Al Qaida unterstützt und dieses Land befand sich in diesem Moment im Krieg mit USA – es wusste nur noch nichts davon.

Und so wird man Zeuge von Ereignissen, die eine erstaunliche Tragweite haben. Dass das Attentat nicht nur zu einem Krieg gegen irgendein Land (es sollte bekanntlich Afghanistan werden) sondern zum War on Terror führen würde, habe ich nicht vorausgesehen. Aber vielleicht haben die Menschen im Juli 1914 auch nicht mit dem Ausbruch eines Weltkrieges gerechnet.

Was waren Eure ich-weiss-wo-ich-war-Tage? Und wie habt Ihr 9/11 empfunden?

Georgien

Donnerstag, August 14th, 2008

Wir schreiben das Jahr 2008 und die Welt taumelt am Rande eines Krieges. Radikale Ultranationalisten haben an Macht in Moskau gewonnen. Ihr Ziel: Die Wiedereinführung des russischen Imperiums.

Mit diesen Worten beginnt die Einführung des 2001 veröffentlichten PC-Spiel Ghost Recon. Mit Blick auf den aktuellen Waffengang in Georgien muten diese Worte doch ein wenig unheimlich an. Auf die verworrenen Hintergründe dieses Konflikts, das Geflecht aus Autonomiebestrebungen, historisch gewachsenen Aversionen und Wünschen nach nationaler Größe will ich hier nicht eingehen. Das ist das ewig gleiche Lied, sowohl in Georgien, als auch in Serbien ja, sogar in Frankreich und Spanien.

Etwas ganz anderes stimmt mich aber nachdenklich. Dass Russland keinerlei Hemmungen kennt, sich auf dem Gebiet seiner Nachbarn militärisch zu engagieren, dürfte auch zuvor jedem klar gewesen sein. Nun führt aber Russland nicht gegen irgendeinen Nachbarn Krieg, sondern gegen den ausgesprochenen Wunschkandidaten der USA für die Aufnahme in die NATO.

Nehmen wir einmal an, den USA wäre ihr Wunsch erfüllt worden. Dann hätte Russland - ohne vorher angegriffen worden zu sein - Militärschläge gegen einen NATO-Staat geführt. Das vorherige militärische Engagement Georgiens in Ossetien diente der Wahrung der staatlichen Integrität und war völkerrechtlich wohl nicht zu beanstanden. Damit hätte ein Verteidigungsfall vorgelegen und neben den USA müsste halb Europa auf Seiten Georgiens in den Krieg eintreten. Die USA dürfte das relativ kalt lassen, aber die Europäer haben im großen Krieg – auch bekannt als erster Weltkrieg – bitter erfahren müssen, wie es ist, wenn man sich von seinen Verbündeten in Kriege hineinziehen lässt.

Vielleicht ist das der eigentliche Hintergrund des Engagements Russlands. Vielleicht will der neue Zar nur die Europäer in der NATO motivieren, sich von seinem außenpolitischen Vorgarten fernzuhalten. In Russland erinnert man sich scheinbar wehmütig an den Kalten Krieg.

Helden oder Sünder - kurze Gedanke über Selbstmörder

Sonntag, Juli 6th, 2008

Das Unternehmen ist ein Misserfolg. Am 25. November 1970 steht der Schriftsteller Yukio Mishima auf einem Dach des Hauptquartiers Ost der japanischen Streitkräfte in Tokio und hält vor 2000 Soldaten eine flammende Rede. Er fordert sie auf, als Erben der Samurai die Regierung zu stürzen und durch eine Restauration der Monarchie den kulturellen Niedergang Japans aufzuhalten. Doch die Soldaten reagieren mit Verachtung, übergießen Mishima mit Hohn und Spott. Nach einem dreifachen Hoch auf den Kaiser zieht sich Mishima in das Zimmer des Kommandeurs zurück, in dem er diesen gefangen genommen hat, und begeht Seppuku. Sein Lebensgefährte Masakatsu Morita sekundiert ihm als Kaishaku-Nin und enthauptet Mishima, bevor er selbst Seppuku begeht. Zwei Jahre später veranstalten rechtsextreme Gruppen zum ersten Mal eine Gedenkfeier am Grab Mishimas und halten bis heute an dieser Tradition fest.

Am 28. Juni 2008 tötet sich in Würzburg eine 79jährige Frau mit Gift. Grund für diesen Schritt ist Medienberichten zufolge ihre Sorge zum Pflegefall zu werden. Das Gift hat ihr der ehemalige Justizsenator von Hamburg, Roger Kusch, verschafft. Zum Beweis der Tatsache, dass er nicht am Selbstmord direkt beteiligt war, nimmt Kusch das Sterben der Frau auf Video auf und präsentiert ihren Tod der Öffentlichkeit. Damit will er ein Zeichen für die in Deutschland weitgehend verbotene Sterbehilfe setzen. Die deutsche Öffentlichkeit reagiert auf den Vorgang und seine mediale Inszenierung mit Empörung. Eine durch die Leitmedien transportierte Welle der Verachtung stürzt sich auf Roger Kusch ein.

Zweimal Selbstmord, zweimal Sterbehilfe, getrennt durch 30 Jahre und ca 9.000 km. Aber wie kommt es zu solch unterschiedlichen Reaktionen. In aller Kürze sei gesagt, dass nicht nur der Selbstmord, sondern auch das Amt des Sekundanten fester Bestandteil der japanischen Kultur sind. In vielen Fällen waren es enge Freunde des Selbstmördes, die ihm mit dem Schwert diesen letzten Dienst erwiesen.

In Deutschland dagegen ist die Sterbehilfe verfemt. Woher aber stammt diese Feindseligkeit gegenüber den Menschen, die ihren Mitmenschen das Sterben erleichtern wollen? Meines Erachtens beginnt, wer über Sterbehilfe diskutiert, die Auseinandersetzung an der falschen Stelle, zäumt quasi das Pferd von hinten auf. Bei allen Vorbehalten gegen Sterbehilfe, bei aller Sorge über die wahren Motive der Sterbehelfer und die möglichen Missbräuche ist das Problem zuallererst nicht die Sterbehilfe, sondern der Selbstmord. Wäre der Selbstmord eine sozial anerkannte Handlung, so könnte auch die Hilfe dazu kein Problem sein. Das Problem der Sterbehilfe ist nämlich nicht, dass ein Mensch einen anderen tötet, in der Form, dass er ihm beim Selbstmord hilft, sondern dass in unserer Gesellschaft die Ablehnung, ja die Verdammung des Selbstmordes tief verwurzelt ist. Die Auseinandersetzung um die Sterbehilfe muss also mit einer Auseinandersetzung über den Selbstmord beginnen.

Unser Verhältnis zum Selbstmord ist immer noch geprägt von den christlichen Moralvorstellungen nach denen der Selbstmörder, da er das ihm von Gott geschenkte Leben fortwirft, der Verdammnis anheim fällt. So einleuchtend diese Haltung aus theologischer Sicht im ersten Moment erscheint, so erstaunlicher ist es doch, dass das Neue Testament keine eindeutige Haltung zum Selbstmord vermittelt. Die hohe Stellung des Lebens, die sich aus dem Gebot der Feindesliebe und dem Gewaltverbot ergibt, gilt nur, wenn es um das Leben anderer geht. Das eigene Leben jedoch genießt nicht den gleichen Stellenwert. Das absolute Gewaltverbot enthält sogar die Pflicht, das eigene Leben im Zweifelsfall nicht zu schützen. Wenn man jedoch sehenden Auges in den sicheren von fremder Hand herbeigeführten Tod geht, wie es so viele Märtyrer getan haben, so ist der Unterschied zum Tod von eigener Hand nur noch ein gradueller.

Trotz des strengen Verbots war das Verhältnis zum Selbstmord in Europa nie eindeutig. War die Selbsttötung mit der Rettung anderer Menschen betroffen, so wurde aus dem Sünder ein Held. Das galt (und gilt) gleichermaßen für den Seemann, der die rettende Planke einem Kameraden überlässt wie für den Soldaten, der statt Deckung zu suchen sich auf die Handgranate wirft, um seine Kameraden zu schützen. Die Akzeptanz des Selbstmordes ging sogar soweit, dass im 19. Jahrhundert der Selbstmord der einzige ehrenvolle Ausweg des Bankrotteurs war. Und sowohl die Japaner, als auch die Islamisten gehen so weit, den Selbstmord als Mittel der Kriegführung nicht nur zu akzeptieren, sondern besonders zu ehren.

Dieses ambivalente Verhältnis zum Selbstmord besteht auch heute noch. Ganz selbstverständlich fordert der Staat von seinen Dienern, in Zeiten von Not und Gefahr das eigene Leben zu opfern. Der Dank für dieses Opfer ist eine gewisse Heldenverehrung. Konsequenterweise sieht auch das Grundgesetz die Schutzpflicht des Staates für das Leben absolut an, sondern lässt Ausnahmen zu. Daher kann der Staat das Leben Einzelner auch dem Grundsatz, nicht mit Terroristen zu verhandeln opfern.

Nun mag man einwenden, alle von mir gewählten Beispiele beträfen nicht den Selbstmord. Das Opfer des eigenen Lebens in Not und Krieg sei nicht als Selbstmord zu werten, da das eigene Leben nicht durch eine eigene Handlung, sondern durch äußere Umstände beendet werde. Dieser Einwand greift jedoch zu kurz. Der Selbstmörder, der sich vor einen Zug wirft und der Soldat, der sich auf eine Handgranate wirft sind durchaus vergleichbar. Beide nutzen eine vorhandene Situation, die geeignet ist, das eigene Leben zu beenden aus. Beide entscheiden sich, das eigene Leben zu beenden und beide beenden ihr Leben durch eine eigene Handlung. Die Tatsache, dass der eine sein Leben gibt um andere Menschen zu retten begründet die Achtung, die sein Andenken erfährt. Aber ist die Tatsache, dass der andere sich selbst tötet, ohne einem Zweck zu folgen wirklich ausreichend, um über ihm den Stab zu brechen?

Vielleicht sollten wir akzeptieren, dass der selbstbestimmte Mensch auch über den eigenen Tod frei entscheiden kann. Und vielleicht sollten wir weiter akzeptieren, dass die Entscheidung für den Tod gleichermaßen fallen kann, um Leiden zu verkürzen, wie um Menschen leben zu retten oder auch Menschen zu töten.

Auf der anderen Seite sollten wir vielleicht aber stattdessen das Leben als so wertvoll einschätzen, dass es zu niemandes Disposition steht. Wenn wir aber dem Einzelnen nicht das Recht zugestehen wollen, das Ende des eigenen Lebens selbst zu bestimmen, warum sollte dann der Staat das Recht haben, über den Tod eines Menschen zu entscheiden, sei es in Form der Todesstrafe, sei es im Rahmen des Abschusses eines entführten Flugzeugs oder durch den finalen Rettungsschuss?

Erst wenn die Entscheidung gefallen ist, ob das eigene Leben als disponibel einzuschätzen ist, kann darüber diskutiert werden, ob derjenige, der in freier Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts den Tod wählt, nicht auch fremde Hilfe in Anspruch nehmen kann. Die derzeitige mediale Entrüstung verhindert diese Diskussion leider.

Mal wieder der DDR-NS-Vergleich

Dienstag, Juni 24th, 2008

Die Wahl des Bundespräsidenten schlägt Wellen und nach Monika Maron, die in der FAZ gegen Gesine Schwan Stellung bezog, hat sich am 17.06. Gerd Roellecke, emeritierter Ordinarius für öffentliches Recht an der Uni Mannheim in der gleichen Zeitung zu Wort gemeldet. So weit er mit seinem Hinweis, über die Wahl des Präsidenten sollten persönliche Qualifikationen entscheiden, recht hat, so sehr reizt mich aber seine Vorstellung von der Integration ehemaliger NS- und DDR-Funktionäre zum Widerspruch. Roellecke schreibt:

Als sich die frühere DDR der Bundesrepublik anschloss, war klar, dass auch die früheren DDR-Funktionäre in die Bundesrepublik integriert und rechtlich gleich behandelt werden mussten. Aus vielen Gründen – die Ossi-Jammerei gehört dazu – war diese Integration noch schwieriger als die der früheren NS-Funktionäre. In beiden Fällen ist allerdings die Selbstgerechtigkeit der öffentlichen Meinung erheblich größer als die Gefährlichkeit der Funktionäre. Die meisten früheren NS-Funktionäre haben brav beim Aufbau der Bundesrepublik geholfen, die früheren DDR-Funktionäre weniger.

Mit dem letzten Punkt hat Roellecke wohl recht. Die ehemaligen NS-Funktionäre haben schon allein deshalb braver am Aufbau der BRD mitgewirkt als die ehemaligen DDR-Funktionäre, weil im Gegensatz zur Nachkriegszeit die BRD nach der Wende keines Aufbaus, an dem die DDR-Funktionäre hätten teilhaben können, bedurfte. Jenseits solcher Sophistereien gibt es jedoch einen grundlegenden Unterschied zwischen der Behandlung der NS-Funktionäre und der der DDR-Funktionäre. Die “ehemaligen” Nazis beteiligten sich am Neuaufbau eines zerstörten Staates, aber sie taten es aus der Mitte einer schwer angeschlagenen Gesellschaft heraus. Kaum einer der NS-Funktionäre musste in die Gesellschaft der BRD integriert werden, weil sie von Beginn an Bestandteil der Gesellschaft waren. Eine wie auch immer geartete Ausgrenzung ehemaliger Funktionäre oder wenigstens der Mörder unter ihnen hat nur begrenzt stattgefunden und die Bereitschaft, sich ernsthaft mit dem Dritten Reich und seinen Verbrechen auseinander zusetzen besteht erst seit 1968. So kam es nach dem von den Alliierten betriebenen hoch motivierten Anfang im Rahmen der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse zu keiner ernsthaften Strafverfolgung mehr und auch gesellschaftliche oder dienstrechtliche Konsequenzen wurden nur in Ausnahmefällen gezogen. Von allen Hochschullehrern, die im Dritten Reich dem Nationalsozialismus gedient hatten verloren nur Heidegger und Carl Schmitt ihre Lehrstühle. Und von den vielen Richtern, die in den Jahren 1933 bis 1945 mit allzuoft tödlichem Ausgang Unrecht gesprochen hatten, wurde nicht ein einziger Verurteilt. Damit korrespondiert die einseitige Zuweisung aller “Schuld” an die Führungsebene von NSDAP und SS und die Bechränkung jeden Verdachts auf verbrecherisches Handeln auf die SS. Außerhalb von Historikerkreisen wurden die vielen Verbrechen, die von Angehörigen der Wehrmacht begangen wurden erst Mitte der 1990er Jahre einer breiteren öffentlichkeit ins Bewusstsein gerufen. Und nicht ein einziger SA- oder Stahlhelmmann, der in den Jahren 1932 bis 1934 an der Ermordung von Kommunisten, Sozialdemokraten oder Gewerkschaftern beteiligt war, wurde für seine Taten zur Verantwortung gezogen. Dieses Klima des Wohlwollens gegenüber dem Nationalsozialismus wird unterstrichen durch eine Umfrage aus dem Jahr 1955 bei der immerhin 42% der Befragten die Jahre 1933 bis 1939 als die Zeit nannten, in der es Deutschland am besten gegangen sei.

Im Gegensatz dazu standen die DDR-Funktionäre nach der Wende vor der Situation, dass ihr Staat von einem fremden Staat übernommen worden war. Ein Gesellschaftssystem, das 40 Jahre Bestand gehabt hatte, war quasi über Nacht in der Versenkung der Geschichte verschwunden und der feindliche Kapitalismus hatte triumphiert. Für die DDR-Funktionäre hieß es nun nicht, einen neuen Staat aufzubauen (was viele Oppositionelle 1989 noch geplant hatten), sondern sich in ein bestehendes System einzufinden. An der Feindseligkeit dieses Systems dürften keine Zweifel bestehen. Trotz aller Ostalgie und Verklärung ist es in der demokratischen Bundesrepublik herrschende Meinung, dass der auf Abschottung gegen Westen und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung aufgebaute DDR-Sozialismus ein verbrecherisches System war. Die juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung insbesondere der Verstrickung vieler Menschen mit dem Apparat der Staatssicherheit ist noch lange nicht abgeschlossen. Aber es ist offenkundig, dass die Verwendung von Stasimitarbeitern im öffentlichen Dienst einen weit größeren Skandal verursacht, als die Verwendung von Mitarbeitern der SS, des Sicherheitsdienstes oder der Gestapo in den 1950er Jahren.

Der Umgang mit ehemaligen DDR-Funktionären (zu denen man sogar die Bundeskanzlerin zählen könnte, die während ihrer Tätigkeit an der Akademie der Wissenschaften Sekretärin für Agitation und Propaganda bei der FDJ war) ist sicher richtig, in manchen Fällen vielleicht sogar zu zurückhaltend. Mit Sicherheit ist er aber nicht so wohlwollend wie der Umgang mit ehemaligen NS-Funktionären in den Anfangsjahren der Bundesrepublik. Eine pauschale Gleichsetzung verbietet sich daher und sollte gerade einem Gesellschaftswissenschaftler nicht unterlaufen.