19.
Feb
09

Karnevalistisches Leid

von Ben

Es ist wieder Weiberfastnacht (auch Fettdonnerstag oder Schmutzge Dunnschdig genannt). Er markiert den Begin der Hochphase des Karnevals, des alljährlichen närrischen Treibens auf Straßen und in Festhallen, die alljährlich Dauerbeschallung mit Karnevalsmusik und Büttenreden. Und wie jedes Jahr stelle ich mir eine Frage - Warum?

Warum gibt es so etwas wie Karneval heute überhaupt? Warum trinken Menschen 5 Tage am Stück? Warum setzen sich Menschen Pappnasen und Narrenkappen auf und lachen über schlechte Witze? Ein kurzer Blick in die Geschichte mag helfen.

Der Karneval wie wir ihn heute kennen ist eine Synthese aus drei unterschiedlichen Inhalten, die sich mal stärker mal schwächer in jeder region wiederfinden. Zum einen ist da die karnevalistisch begründete kurzzeitige Auflösung sozialer Grenzen, die überwindung von Klassenschranken und Ungleichheit und damit Verbunden die Außer-Kraft-Setzung oder zumindest Persiflage obrigkeitlicher Macht. Dieses Motiv findet sich bereits in Babylon, wo zu einem bestimmten Festtag Herren und Diener zumindest vorgeblich gleichgestellt waren, später dann in antiken Rom, wo zu den Saturnalien die Herren den Sklaven dienen sollten (was auch Nero in Grenzen berücksichtigt haben soll), und schließlich sogar im christlichen Mittelalter wo sogar gotteslästerliches Verhalten während der Karnevalstage nicht verfolgt wurde.

Ein weiteres Motiv ist das der Frühlingsfeiern oder der Winteraustreibung. Die Wurzeln des Karnevals in germanischem Treiben zu sehen ist zwar überholt und vornehmlich der germanophilie der Nationalsozialisten geschuldet, nichtsdestotrotz wird dieses Motiv vor allem im süddeutschen Raum durchaus aufgegriffen.

Ein drittes, rein christliches Motiv ist der Beginn der Fastenzeit, die mit wilden Feiern - um nicht zu sagen Exzessen - eingeläutet wird. Hier mag auch hineinspielen, dass vor der 40 tägigen Fastenzeit die Vorratskammern von verderblichen Lebensmitteln bereinigt werden mussten.

Im aktuellen Karnevalstreiben scheint mir das erste Motiv das bestimmende zu sein. Der Beginn der Fastenzeit spielt gesamtgesellschaftlich betrachtet keine Rolle mehr und niemand behauptet ernsthaft, den Winter austreiben zu wollen. Die Auflösung gesellschaftlicher Ordnung, die Narrenfreiheit, scheinen in Büttenreden, in karnevalistischen Umzügen und in Alkoholexzessen aber durchaus noch lebendig. Aber sie scheinen eben nur, denn der Karneval markiert eben keine Ausnahmesituation mehr. In Zeiten der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit kann man zu jeder genehmen Zeit auf die Obrigkeit schimpfen und die Politik persiflieren. Karikaturen gehören zur Grundausstattung der Tageszeitungen und politische Komödianten zum Standardrepertoire der Bühnen. Alkoholexzesse finden jedes Wochenende statt, auf Mallorca sogar jeden Tag und die letzten noch bestehenden gesellschaftlichen Unterschiede löst auch der Karneval nicht auf. Das schon allein deshalb nicht, weil die Wahrnehmung karnevalistischer ämter allzu oft hohen Geldeinsatz erfordert und es immer noch Karnevalsvereine gibt, die keine Frauen in ihren Reihen dulden.

So bleibt als einziger Grund, Karneval zu feiern die Traditionspflege. Allerdings ist der Kern des Karnevals wie wir gesehen haben längst verloren gegangen. Aus dem Karneval ist ein klein- und spießbürgerliches Pseudovergnügen geworden, das gerade wegen der ihm innewohnenden zwanghaften Fröhlichkeit selbst jedem Begräbnis an Schalkhaftigkeit nachsteht. Krampfhaft wird so eine leere Hülle gepflegt, die mit Inhalt füllen zu wollen unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen vergeblich wäre.

Der Karneval ist tot und er wird jedes Jahr aufs neue begraben. Und so ist die traurige Antwort auf die eingangs gestellte Frage, dass es keinen Grund gibt, Karneval zu feiern. Und so möchte ich wie jedes Jahr meinen Mitmenschen zurufen: Hört auf euch vor euch selbst zu blamieren - schafft den Karneval ab!

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