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Bücher: Berlin

Sonntag, Januar 4th, 2009

Wer sich Geschichte nähern will, braucht nicht unbedingt Zuflucht zu wissenschaftlicher Literatur zu nehmen. Hin und wieder hat man auch das Glück, über den ein oder anderen gut recherchierten historischen Roman zu stolpern. Ein solcher “Fehltritt” ist mir zugestoßen, als mir in einem Comicladen die ersten zwei Bände der Berlin-Trilogie von Jason Lutes in die Hände fielen.

Berlin (Bd. 1: City of stones, 2001; Bd. 2: City of smoke, 2008; beide auch deutsch erhältlich) erzählt die Geschichte Berlins in den Jahren 1928 bis 1933, wobei sich der Autor an mehreren Einzelschicksalen entlang hangelt. Im Zentrum des Geschehens stehen der Journalist Severing und die Kunststudentin Marthe. Ihre Geschichte bettet Lutes ein in die Geschichte einer Stadt, die zerissen wird durch politische Auseinandersetzungen einerseits und den Hunger nach Freiheit und Leben andererseits. Beide Gesichter Berlins, das blutverschmierte politische und das im drogenrausch verzückte gesellschaftliche zeichnet Lutes mit klaren Kontrasten und Liebe fürs Detail. Beide Gesichter werden durch die Akteure repräsentiert, das politische durch Severing, der am Niedergang der Republik und dem Erstarken des Nationalsozialismus verzweifelt und das gesellschaftliche durch Marthe, die zeitweise von einer Party zur nächsten taumelt und immer tiefer in den Untergrund des homosexuellen Berlin eintaucht.

Neben diesen begegnet dem Leser auch eine Reihe von Prominenten aller Lager, so Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Thälmann, Goebbels und Horst Wessel. Diese Besetzung liefert einen eindrucksvollen Einblick in die letzten Monate einer Stadt auf dem Weg von einer Weltmetropole zur Kapitale der Unmenschlichkeit. “Berlin” empfiehlt sich jedem Leser, der sich einmal auf etwas andere Art und Weise mit der späten Weimarer Republik befassen möchte. Leider ist das Erscheinen des dritten Bandes bisher nicht angekündigt.

Kleiner Jubiläenausblick

Freitag, Januar 2nd, 2009

Mittlerweile haben wir bereits den 2. Januar, auch die Letzten dürften ihren Silvesterkater inzwischen überwunden haben und so ist es für Zeitblog Zeit, einen Blick in das kommende Jahr zu werfen. Was dürfen wir erwarten?

2009 dürfte sich vor allem zum Jahr populärwissenschaftlicher Veröffentlichungen entwickeln, laden doch drei Jubiläen dazu ein: der 200. Todestag Alexander von Humboldts, der 200. Geburtstag Charles Darwins und das 150jährige Jubiläum der Erstveröffentlichung seines “The origin of species”. Wir werden uns also viel mit Entdeckungen befassen können und im Falle Humboldts wird sicher der eine oder andere wehmütige Kommentar zu seinem Bildungsideal fallen, von dem unsere Universitäten so weit entfernt sind.

A propos Entdeckungen, nicht vergessen werde darf natürlich, dass die Vereinten Nationen 2009 zum Jahr der Astronomie erklärt haben, was uns manch einen interessanten Einblick in eine der ältesten Wissenschaften der Welt verschaffen dürfte. Astronomie wurde immerhin schon von den Babyloniern betrieben, auch wenn ich gerne zugebe, dass die Grenze zwischen Astronomie und Astrologie bei den Herren der hängenden Gärten noch nicht sonderlich ausgeprägt war.

Was tut sich sonst noch? Im Tal der Könige wird wieder verstärkt gegraben, es könnte uns also durchaus auch aus dieser Ecke eine überraschung ins Haus stehen. Und am CERN werden sie auch mit den Experimenten beginnen… zumindest wenn ihnen nicht wie beim letzten Versuch der Teilchenbeschleuniger schon beim Aufwärmen abraucht.

Und wer jubiliert sonst noch? Kuba begeht den 50. Jahrestag der kommunistischen Revolution, 100. Jahrestag haben die Uraufführung von Strauss’ Elektra, der erste ferntelegraphische Seenotruf und die erste Fluggesellschaft der Welt (DELAG); wir feiern das 150jährige Jubiläum der Uraufführungen von Verdis Un Ballo in maschera und Gounods Faust sowie den 150. Geburtstag von Sir Arthur Conan Doyle, des Erfinders von Sherlock Holmes, und den 150. Gründungstag des Salesianerordens von Don Bosco; 200. Geburtstag feiern Louis Braille, Erfinder der Blindenschrift, Felix Mendelssohn Bartholdy und Abraham Lincoln… oder sie würden feiern, wenn sie nicht schon tot wären; der Todestag von Abraham a sancta clara jährt sich zum 300. mal und die Abdankung Oliver Cromwells sowie die Entdeckung der Roten Blutkörperchen zum 350. mal. Johannes Calvin feiert übrigens seinen 500. Geburtstag und die Varusschlacht jährt sich zum 1000. mal. Und zum Abschluss sei noch auf ein diabolisches Jubiläum hingewiesen: die Universität Pisa wurde vor genau 666 Jahren gegründet.

In diesem Sinne: Ein schönes Jahr 2009!

Islami(sti)sche Aufklärung?

Dienstag, Dezember 30th, 2008

Wie das so ist, wenn man zu viel Zeit hat, habe ich nicht nur alte Fernsehserien gesehen, sondern mich auch ein wenig in der Blogosphäre herumgetrieben. Dabei bin ich über das Blog von Zwischenrufer auf die Seite dawa-news geraten, deren Autoren sich als muslimische Aufklärer verstehen (um Missverständnisse zu vermeiden: sie wollen über den Islam aufklären, nicht den Islam – was imho zumindest der arabischen Version nicht schaden würde).

Der Artikel “Widerlegung der Gerüchte” hat sofort meine Aufmerksamkeit gefunden. Immerhin berichten sie hier über das Heiratsgebahren Muhammads. Bei allen politischen, religiösen und sonstigen Begründungen für seine ausgeprägte Polygamie wundert mich doch eines: dass nämlich die einzige Frau, die Muhammad “als Jungfrau geheiratet” hat, Aischa, nur in einem Nebensatz vorkommt, obwohl sie doch der Überlieferung zufolge seine Lieblingsfrau war. Ob das wohl daran liegt, dass unsere Islamfreunde uns verschweigen wollen, dass Aischa zum Zeitpunkt der Eheschließung sechs und zum Zeitpunkt des Vollzugs der Ehe neun Jahre alt war? In Europa nennt man so etwas Pädosexualität.

Ja, ich weiß, dass die kulturelle Situation eine andere war, dass das Heiratsalter im europäischen Mittelalter nicht unbedingt viel höher lag und ich habe sogar Verständnis dafür, dass sich die Leute von dawa-news nicht auf diese Diskussion einlassen wollen, aber ich konnte mir diese kleine Spitze nicht verkneifen (wo ist das Teufelssmiley?). Und wenn wir schon dabei sind: die wagen es, sich über Homosexuelle aufzuregen?

Alle Jahre wieder

Sonntag, Dezember 28th, 2008

Es ist Weihnachtszeit und im Nahen Osten herrscht Krieg – mal wieder. Da predigen die Christen auf der ganzen Welt den Frieden und Israelis und Palästinenser halten sich nicht daran. Ebenso wenig wie manche Iraker oder Afghanen oder Pakistani… um nur die aktuell prominentesten Konfliktherde zu nennen. Andererseits halten wir uns ja auch nicht daran. Es ist schließlich kein Zufall, dass an den Weihnachtsfeiertagen die Anzahl innerfamiliärer Konflikte steigt. Und das, obwohl die Kritiker des Weihnachtsfestes seinen Anhängern den Vorwurf zwanghafter, heuchlerischer Friedfertigkeit machen.

In gewisser Weise haben die Kritiker sogar recht. Das Weihnachtsfest scheint tatsächlich in vielen Familien von dem verzweifelten Versuch geprägt zu sein, eine möglichst harmonische Stimmung zu kreieren. Und ich frage mich, warum eigentlich. Weil Weihnachten das Fest der Liebe ist? Weil Weihnachten das Fest des Friedens ist? Um es kurz zusammenzufassen: das ist es alles nicht.

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden…

Nun, das klingt in der Tat sehr friedlich. Aber es sollte nicht vergessen werden, dass es übersetzungen gibt, die mit den Worten fortfahren “den Menschen seines Wohlgefallens”. Da ich weder Theologe, noch Altphilologe bin, will ich mich hier nicht auf eine Übersetzungsdiskussion einlassen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die Idee von einem Universalfrieden dem Weihnachtsfest nicht per se innewohnt.

Und das Fest der Liebe? Natürlich ist Weihnachten das Fest der Liebe… der Liebe Gottes zu den Menschen. Das ist dann aber auch alles.

Meine Sicht auf das Weihnachtsfest lässt sich vielleicht erhellen, durch einen Blick auf das Umfeld der Geburt Jesu. Zu dieser Zeit befindet sich das Heilige Land unter römischer Besatzung, einer Besatzung, die erst durch die Eroberung durch die Araber enden sollte (wobei man auch hier von Besatzung sprechen kann). Direkt nach der Geburt lässt biblischer Überlieferung nach Herodes alle Neugeborenen Bethlehems töten, um unliebsame Konkurrenz zu vermeiden. Und worauf lief die Weihnachtsgeschichte im Endergebnis hinaus? Auf die Hinrichtung Jesu am Kreuz. Und wir reden von Frieden!

Vielleicht sollten alle diejenigen, die Weihnachten feiern zuvor eine Entscheidung fällen: feiern sie, weil sie daran glauben, feiern sie, weil sie die Gelegenheit zu einem Familienfest nutzen wollen, oder feiern sie, weil es so üblich ist? Wer feiert, weil er daran glaubt, sollte vielleicht mehr die Hoffnung auf Frieden feiern, statt sich der verzweifelten Suche nach familiärem Frieden zu ergeben. Und meines Erachtens kann es Frieden ohne Ehrlichkeit und den ein oder anderen Konflikt nicht geben. Wer nur ein Familienfest will, sollte eigentlich kein Problem haben. Eine Familie, in der zwanghaft Harmonie simuliert werden muss, ist sowieso kein Fest wert. Wer Weihnachten nur feiert, weil es so üblich ist, ist in der schönen Situation, nichts ändern zu müssen. Er/sie kann weiterhin ab September Lebkuchen kaufen (ist so üblich), vier Wochen lang gestresst umherirren auf der Suche nach Geschenken (ist so üblich), seichte Weihnachtmusik hören (ist so üblich), am Heiligen Abend Harmonie simulieren (ist so üblich) und spätestens nach Bescherung und Abendessen die schöne Fassade mit dem Familienstreit des Jahres zum Einsturz bringen.

Und was ist mit den Kritikern? Die können sich eine der drei Versionen aussuchen. Wenn sie damit immer noch nicht zufrieden sind, können sie Weihnachten auch ausfallen lassen, dann besteht kein Grund mehr, zu meckern – dann gibt es aber auch keine Geschenke! Und spätestens hier dürfte bei allem anti-spießbürgerlichen, aufklärerischen Habitus doch die Grenze erreicht sein, die der Egoismus setzt.

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten nachträglich!

Entsetzen oder Vorwand

Sonntag, Dezember 21st, 2008

Ein Polizist ist niedergestochen worden – das ist verurteilenswert, keine Frage. Was mich aber erheblich stört, ist die Reaktion weiter Teile der Politik auf diesen Vorfall. Ein Schrei ging durch das politische Establishment, der auch in den Medien widerhallte: Verbietet die NPD. Nun bin ich kein Freund der NPD; ich bin allerdings ein großer Freund der Demokratie und als solcher stehe ich jedem Ansatz eines Parteiverbots skeptisch gegenüber. Zudem dürfte es außer Diskussion stehen, dass es nicht zu einem Verbot der NPD kommen wird. Es stellt sich also die Frage, warum erneut diese unrealistische Forderung erhoben wird.

Zum einen könnte es sich um den durchsichtigen Versuch mancher egomanen Politiker handeln, mit möglichst weitreichenden (aber auch möglichst konsequenzlosen) Forderungen mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wäre der Täter Ausländer gewesen, hätte die gleiche Sorte Politiker umgehend nach kurzfristiger Abschiebung aller straffälligen Ausländer gerufen – in dem Wissen, dass Ihnen diese Forderung zwar Aufmerksamkeit beschert, aber niemals umgesetzt werden wird. Andererseits könnte aus der Reaktion auch die nackte Angst sprechen. Diesmal war es nicht irgendein namenloser Ausländer, der den Kopf hinhalten musste für den hohnsprechenden Mangel an Bereitschaft der Politik, antifaschistische Aufklärung zu finanzieren. Diesmal war das Opfer ein hochrangiger Vertreter der Staatsgewalt. Was liegt also näher, als anzunehmen, dass auch die Politiker über kurz oder lang ins Fadenkreuz rechter Gewalttäter geraten könnten. Hans-Christian Ströbele hat es schließlich bereits im September 2002 getroffen.

Es gibt jedoch noch eine dritte Möglichkeit, dass nämlich manche Politiker aus der Tat Kapital zu schlagen hoffen, dergestalt, dass sie ihnen als Vorwand dienen möge, ein lang verfolgtes Ziel endlich zu erreichen. Unter dem Eindruck dieser, an den Grundfesten staatlicher Ordnung rüttelnden Gewalttat, könnte nun - so mögen manche Politiker spekulieren - ein Verbot der NPD erreicht werden. Dass dieser Gedanke alles andere als abwegig ist, mögen zwei historische Beispiele demonstrieren.

Am 7. November 1938 drang der polnische Jude Herschel Grynspan, nachdem er von der Deportation seiner Eltern von Deutschland nach Polen erfahren hatte, mit einem Revolver bewaffnet in die deutsche Botschaft in Paris ein und eröffnete das Feuer auf den ersten Diplomaten, der ihm begegnete, den Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath. Am 09. November erlag vom Rath seinen Wunden. Bereits als die Nachricht von dem Attentat in Berlin eintraf, beschloss die NSDAP-Parteiführung, den Vorfall auszunutzen, um konzertierte Gewalttaten gegen die deutschen Juden propagandistisch zu begleiten. Hatte das Regime das gesamte Jahr über den Druck auf die deutschen Juden erhöht, so bot sich nun ein Vorwand, im großen Stil gegen sie vorzugehen. Es spricht einiges dafür, dass Hitler, der größeren propagandistischen Wirkung wegen, den Tod vom Raths abwartete, bevor er den Befehl zum Losschlagen gab. Außer Zweifel steht jedoch, dass das Attentat auf vom Rath nicht der Grund für die Ausschreitungen des 9./10. November war, sondern lediglich ein propagandistischer Vorwand für lange im Vorfeld geplante Aktionen. (Nur am Rande sei erwähnt, dass das tödliche Attentat auf Wilhelm Gustloff im Februar 1936 keinerlei “Folgen” für die deutschen Juden hatte, da die NS-Führung im Olympiajahr um ihr internationales Ansehen besorgt war.)

Fast 120 Jahre zuvor war ebenfalls ein Attentat zum Anlass genommen worden, längst geplante oder zumindest gewünschte Maßnahmen durchzusetzen. Am 23. März 1819 erstach der Jenaer Theologiestudent Karl Ludwig Sand den Schriftsteller August von Kotzebue in dessen Wohnung. Diesen Mord nahmen die Staaten des Deutschen Bundes zum Anlass, im Rahmen der sogenannten Karlsbader Beschlüsse gegen die Presse und die gesamtdeutsche Bewegung, insbesondere gegen die Burschenschaften und ihre akademischen Vordenker wie Jahn und Arndt vorzugehen. Die Burschenschaften, gesamtdeutsch und in ihrer Mehrheit sogar demokratisch gesinnt, waren die erklärten Gegner der Restauration, der auf dem Wiener Kongress beschlossenen Wiederherstellung der vornapoleonischen politischen Ordnung einschließlich ihrer deutschen Kleinstaaterei und ihrer absolutistischen Herrschaftssysteme. Spätestens seit dem Wartburgfest stand daher der Kampf gegen diese Opposition auf der Agenda der deutschen Staaten. Das Attentat des ehemaligen Burschenschafters Sand lieferte schließlich den passenden Vorwand.