Bücher: Berlin
Wer sich Geschichte nähern will, braucht nicht unbedingt Zuflucht zu wissenschaftlicher Literatur zu nehmen. Hin und wieder hat man auch das Glück, über den ein oder anderen gut recherchierten historischen Roman zu stolpern. Ein solcher “Fehltritt” ist mir zugestoßen, als mir in einem Comicladen die ersten zwei Bände der Berlin-Trilogie von Jason Lutes in die Hände fielen.
Berlin (Bd. 1: City of stones, 2001; Bd. 2: City of smoke, 2008; beide auch deutsch erhältlich) erzählt die Geschichte Berlins in den Jahren 1928 bis 1933, wobei sich der Autor an mehreren Einzelschicksalen entlang hangelt. Im Zentrum des Geschehens stehen der Journalist Severing und die Kunststudentin Marthe. Ihre Geschichte bettet Lutes ein in die Geschichte einer Stadt, die zerissen wird durch politische Auseinandersetzungen einerseits und den Hunger nach Freiheit und Leben andererseits. Beide Gesichter Berlins, das blutverschmierte politische und das im drogenrausch verzückte gesellschaftliche zeichnet Lutes mit klaren Kontrasten und Liebe fürs Detail. Beide Gesichter werden durch die Akteure repräsentiert, das politische durch Severing, der am Niedergang der Republik und dem Erstarken des Nationalsozialismus verzweifelt und das gesellschaftliche durch Marthe, die zeitweise von einer Party zur nächsten taumelt und immer tiefer in den Untergrund des homosexuellen Berlin eintaucht.
Neben diesen begegnet dem Leser auch eine Reihe von Prominenten aller Lager, so Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Thälmann, Goebbels und Horst Wessel. Diese Besetzung liefert einen eindrucksvollen Einblick in die letzten Monate einer Stadt auf dem Weg von einer Weltmetropole zur Kapitale der Unmenschlichkeit. “Berlin” empfiehlt sich jedem Leser, der sich einmal auf etwas andere Art und Weise mit der späten Weimarer Republik befassen möchte. Leider ist das Erscheinen des dritten Bandes bisher nicht angekündigt.